Worscht with a View

Man kann gegen Nordhessen und seine nordhessischen Bewohner vieles sagen, was man will, aber zwei Dinge gibt es im Werratal, die wahrhaft unvergleichlich sind: die märchenhaft schöne Landschaft und die Ahle Worscht, eine luftgetrocknete Mettwurst von außergewöhnlicher Delikatesse. Letzte Woche entdeckte ich einen Ort, der beides – Landschaft und Wurst – nachgerade magisch miteinander vermählt: die Brettljause.
Brettljause

Die Brettljause liegt am Hohen Meißner, auf einer Terrasse vor der – zur Zeit in Renovierung befindlichen – Traditionsgaststätte Schwalbenthal.
Und die Brettljause ist eigentlich nur eine kleine Hütte mit einem kleinen Biergarten.
Hütte

Doch wenn man sich auf einer der Bänke niedergelassen hat, und runter ins Werratal guckt …
View

… und der nette Herr aus der Hütte dann eine großzügige Portion Ahle Worscht aus Hausschlachtung (!) von absolut überirdischer Qualität vor einen hinstellt …

Wurstbrett

… dann ist man mit sich, mit der Welt und sogar mit den nordhessischen Klotzköppen derart im Reinen, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Ab sofort gehört die „Brettljausen“ (im Sommer nur Samstags und Sonntags geöffnet) zum Pflichtprogramm bei Heimatbesuchen.

Die gnadenlose Beiz

Das ist einfach ein geniales Lokal, wo du auf dem Heimweg zwischen Büro und Zuhause einfach einkehren kannst. Eine Wirtschaft für den Alltag, aber ist das wirklich Alltag, wenn du reinkommst und hinterm tresen dieses riesige, wunderschöne Rück-Buffet siehst, aus einer Zeit, als Möbeltischler noch stolz auf die künstlerische Qualität ihrer Produkte sein konnten. Aber egal, du bist nicht hier, weil du in Weltschmerz machen oder gegen Ikea polemisieren willst, du willst auch nicht den alten Sack raushängen lassen, der früher alles besser fand, du bist hier, weil du dich gemütlich hinhocken und was gescheites essen und trinken willst.

Hägeles Antiqua
Also entscheidest du dich, wo du dich hinhocken willst, vorne, an die blankgescheuerten Tische, oder ins hintere Zimmer, wo die Tische weiß eingedeckt sind und die schönen Bilder an den Wänden hängen. Letztlich ist’s wurscht, den vorne und hinten gibt’s die gleichen mordsleckeren Sachen, zuvorderst aus dem Schwabenland. Obwohl… zur Zeit gibt’s da eine sahnige Spargelcreme mit Lachsklößchen, die schmeckt schon äußerst badisch… aber sonst: die Sauren Kutteln, der Wurstsalat, der Zwiebelrostbraten, die Käsespätzle… Die Käsespätzle! Entweder mit Knoblauch oder Schinken, aber egal wie: Weltklasse. Die Nichte Sabine verdrehte die Augen und rief: „Die besten Käsespätzle meines Lebens!“ Und das will was heißen, die junge Dame ist seit Jahren auf Käsespätzlediät. Die Bratkartoffeln und Saucen spielen zu meinem Erstaunen in der Dieter-Kaldewey-Liga mit, und die Kutteln… Was soll ich sagen? Ich spar mir die Worte. Wer die klassisch-säuerliche Zubereitung schätzt, ist hier im Paradies. Wie auch der Weinbeißer, der hier überhaupt keine Chance hat, es bei einem Viertel bewenden zu lassen. Da gibt es ein paar blitzsaubere, stahlige Rieslinge, die zu probieren sind, und da die freundlichen Wirtsleute ein gescheites Lokal machen, ohne Lokalpatrioten zu sein, finden sich neben den im Schwäbischen unvermeidlichen Trollinger/Lemberger (ich bin in einem Stuttgarter Traditionslokal mal nicht weiter bedient worden, weil ich gewagt hatte, Trollinger als „weinähnliches Getränk“ zu bezeichnen) auch ein paar samtige Spätburgunder aus Baden auf der Karte, mit denen man’s gut länger aushalten kann, als man ursprünglich wollte.
Denn das passiert hier regelmäßig: Man kommt immer öfter her und bleibt länger da, als man wollte. Diese Beiz ist gnadenlos. Einmal drin und du bist Stammgast. Wehr dich nicht. Du hast keine Chance. Außer, du machst einen Riesenbogen um Hägeles Antiqua.
[tags]Berlin, Restaurant, Schwaben, Schöneberg, mordslecker[/tags]

Sonntagsessen

Über zehn Jahre ist es her, da waren die geduldigste Gemahlin von allen und ich zum ersten Mal (damals des Tennis wegen) in Weinböhla. Die Küche des Hotels, in dem wir seinerzeit nächtigten, war ordentlich aber nicht aufsehenerregend, und so spitzten wir die Ohren, als der freundliche Trainer am vorletzten Tag unseres Aufenthalts von einem Restaurant erzählte, „… wo die Einheimischen hingehen. Da soll sehr gut gekocht werden, das ist gleich da vorne…“ Wenig später saßen wir im Restaurant „Laubenhöhe“.

Laubenhöhe
Und als dann der erste Bissen von der Gabel in meinen Mund wanderte, verdrehte ich verzückt die Augen und trat eine Zeitreise in meine Kindheit an: Da war sie wieder, die schönste Mahlzeit der ganzen Woche, das Essen, auf das man sich sechseinhalb Tage lang zu freuen pflegte: das „Sonntagsessen“!
Ein wunderbar mürber Schmorbraten war’s, den ich damals in der Laubenhöhe aß, mit einer aromatischen, konzentrierten Sauce, einem buttrig-goldgelben Kartoffelpüree und frühlingsfrischen Gartengemüsen, eben ein festliches und doch familiäres, herrliches Essen, wie meine Mutter es sonntags aufs gestärkte Tischtuch zu setzen pflegte.
„Familiär“ ist überhaupt das Stichwort für die Laubenhöhe, denn man ist im wahrsten Sinne des Wortes Gast bei Familie Krause. Vater Krause verantwortet den Service und den erstklassigen Weinbestand – viele deutsche (Schwerpunkt Riesling) und französische Weine zu absoluten Schnäppchenpreisen – des Hauses, Frau Krause ist mal im Service und mal in der Küche zu finden, in der Chris Krause, der Sohn, das Sagen hat.
Seitdem sind wir fast jedes Mal, wenn uns der Weg in die Dresdner Gegend führte, in der Laubenhöhe eingekehrt, haben einige Sonntagsessen, aber auch Chris Krauses fantastisches fünfgängiges Trüffelmenü (Die getrüffelte Fonduta! Die getrüffelte Fonduta!) genossen und uns jedes Mal rundum wohl gefühlt.
Zu Ostern waren wir wieder da. Herr Krause begrüßte uns, als wäre nicht eine unziemlich lange Zeit seit unserem letzten Besuch vergangen. Wir genehmigten uns das „kleine“ Ostermenü, und obwohl wir schon am Sonnabend da waren, gab’s wieder ein richtiges Sonntagsessen: bestehend aus einer herrlich cremigen Brennnesselsuppe (Frau Krause hat die Brennnesseln selbst geerntet: „Die haben durch die Handschuh durch gestochen!“) mit knusprigen Croutons, einer königliche Portion Spargel mit zerlassener Butter und gepökelter Rinderzunge und einem Rhabarberkompott mit Vanille-Eis (natürlich alles selbstgemacht), das endgültig den Frühling in die Seelen der zwei dankbaren Esser brachte. Das gab’s für zwei inklusive einer Flasche des von Herrn Krause empfohlenen spanischen Weißweins, zwei Flaschen Mineralwasser und zwei Espresso (inkl. selbstgebackener Kekse) für um die 70 Euro: Das Preis-Leistungs-Verhältnis der Laubenhöhe ist nach wie vor sensationell.
Aussicht Laubenhöhe
Im Spätfrühling und Sommer hat dieses gastronomische Kleinod noch eine weitere Sensation zu bieten. Dann wird auf der Terrasse aufgestuhlt, und man kann die Gastlichkeit der Familie Krause und eine einmalige Aussicht auf das Elbtal gleichzeitig genießen.

[tags]Weinböhla, Sachsen, Restaurant[/tags]

Hymne

Der krönende Abschluß der Folk-Wochen (ab morgen werde ich das musikalische Spektrum etwas erweitern). Eine ungewöhnliche Version meines Lieblingssongs von David Crosby, dem meiner bescheidenen Meinung nach größten Singer/Songwriter seiner Generation.

So, ich verbessere das jetzt mal, weil die paar durchgestrichenen, schnell hingehauenen Zeilen der Sache natürlich nicht gerecht werden konnten. „Almost cut my hair“ ist für mich DER Song, der die auslaufenden sechziger und beginnenden siebziger Jahre schmerzhaft selbstkritisch beschreibt und verdichtet. Eine unglaublich präzise Momentaufnahme einer Generation, die sich – aus welchen Gründen auch immer – zwischen alle möglichen Stühle setzt und das grandiose Scheitern an sich selbst zur Kunstform erklärt. Niemand hat das so wunderschön und gleichzeitig schmerzlich wahr ausdrücken können wie der unvergleichliche David Crosby, dem wir noch andere Meisterwerke wie „Triad“, „Delta“ oder „Guinnevere“ verdanken, über die irgendwann noch zu sprechen sein wird. Und natürlich „Wooden Ships“. Und…

[youtube]TSNLc8-gYtA[/youtube]

Almost cut my hair
It happened just the other day
It’s gettin kinda long
I coulda said it wasn’t in my way
But I didn’t and I wonder why
I feel like letting my freak flag fly
Cause I feel like I owe it to someone

Must be because I had the flu‘ for Christmas
And I’m not feeling up to par
It increases my paranoia
Like looking at my mirror and seeing a scar
But I’m not giving in an inch to fear
Cause I missed myself this year
I feel like I owe it to someone

When I finally get myself together
I’m going to get down in that sunny southern weather
And I find a place inside to laugh
Separate the wheat from the chaff
I feel like I owe it to someone

[tags]Crosby, Hero[/tags]

Danny Boy

Die Folkwoche in der Netzecke strebt ihrem Höhepunkt entgegen. Und da der Netzecken-Betreiber eine gewisse Irland-Affinität nicht verleugnen kann oder will, muss früher oder später „Danny Boy“ kommen, der Song, den sich die Besucher eines Irish Pubs spätestens nach dem 3. Guinness von der Live Band wünschen. Was irgendwie originell ist. Weil die Lyrics von einem Engländer stammen, der sie auf „Londonderry Air“ geschrieben hat. Hier steht die ganze Geschichte.
Aber genug gebeckmessert. „Danny Boy“ ist einfach ein steinstarker Song. Besonders, wenn die Weltmeister des irischen Liedguts ihn interpretieren, die Wolfetones:

[youtube]NJp0XwWpTqA[/youtube]

Slainte!

[tags]Wolfetones, Folk, Irland[/tags]

Ed’s Lieblingslied

Der nächste Beitrag in der Netzecken-Folkwoche. Dieser Song wurde in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der „Schwabinger 7“ – einem Lokal für die weniger subtilen Nächte dieses Lebens – mehrmals am Abend gespielt. Es war das Lieblingslied von Ed, dem coolsten Kellner aller Zeiten. Ed hatte mal einen vom Kingston Trio kennengelernt, der ihm die Single mit „Greenback Dollar“ geschenkt hat. Und diese Single hat Ed einmal mit in die 7 gebracht und den Stammgästen vorgespielt. Uns hat’s gefallen. Wir wollten den Song immer wieder hören. Manchmal zehnmal am Abend. Manchmal auch öfters. Bis eines Abends ein Stammgast, der sonst den ganzen Abend lang katatonisch in sein Bier zu starren pflegte, über den Tresen flankte, die kostbare Single in zwei Teile zerbrach und sich mit den Worten „Ich kann’s nicht mehr hören!“ wieder vor sein Bier setzte.
Natürlich gab’s sofort ein Hausverbot, dass – wie damals üblich – am nächsten Abend schon wieder vergessen war. Am nächsten Abend war auch eine neue „Greenback Dollar“-Single da. Die 7 ohne „Greenback Dollar“ ging damals gar nicht. Seitdem lässt mich der Song nicht los. Durfte jetzt so an die dreißig Jahre her sein, dass ich das letzte Mal in der 7 war. Aber wenn ich den Song höre, dann sähe ich sie alle wieder vor mir. Heinz, den Manila… und natürlich Ed.

[youtube]A9Jh4KjPP-o[/youtube]

[tags]Folk, Kingston Trio, Schwabing, Kneipe[/tags]