Fernwirkung

BB

Auf der Rückseite der Reeperbahn wird heute von einem Franken berichtet,, der durch seine Anwesenheit bzw. seine bloße Gedankenkraft das Verletzungspech von Fußballprofis steuern kann. Eine ähnliche Fernwirkung hatten ich und mein Fernseher auf die Karriere des späten Boris Becker.
1995 wurde ich auf das Phänomen aufmerksam. Ich verfolgte Beckers Halbfinale gegen Agassi, und als er zwei Sätze kläglich verdattelt hatte und auch im dritten chancenlos schien, drehte ich entnervt den Fernseher ab und ging mit der geduldigsten Gemahlin von allen essen. Gute zwei Stunden später kamen wir zurück, ich drehte den Fernseher wieder an und erfuhr fassungslos, dass der chancenlose Boris das Match doch noch gedreht und ich eins der klassischen Becker-Matches überhaupt verpasst hatte. Das sollte mir nicht nochmal passieren, schwor ich mir, als ich am nächsten Tag Beckers Finale gegen Sampras einschaltete. Tatsächlich gewann Becker den ersten Satz im Tie-Break, verlor dann die Sätze Zwo und Drei relativ schnell und glatt und sah im vierten Satz auch überhaupt nicht gut aus. Aber diesmal blieb ich vorm Fernseher kleben! Nochmal würde ich den „Come-Becker“ nicht verpassen. Ich überwand Zweifel und bohrende Hungergefühle und durfte erleben, wie Becker nach vollkommen chancenlosem Beginn… ebenso chancenlos den ganzen Satz, das Match und damit das Turnier vergeigte.
Nun ja, das wäre alles nicht der Rede wert, wenn sich das oben geschilderte nicht für den Rest von Beckers Karriere fortgesetzt hätte. Wann immer ich Becker zusah, verlor er seine Matches, meist sogar schmählich. Wenn ich nicht vor dem Fernseher saß, gewann er ausnahmslos, meistens in triumphalen, bildschönen Matches. Wenn ich ihn beobachte und er – natürlich – auf die Verliererstraße geriet, genügte es, wenn ich den Fernseher ausschaltete, um Boris Rückkehr ins Match und seinen relativ kommoden Sieg zu sichern.
Oft konnte ich Beckers Spiel sogar durch das bloße Verlassen des Fernsehzimmers beeinflussen. Während ich zusah, produzierte Boris unforced errors in Serie, haderte mit sich und der ganzen Welt. Entnervt ging ich ins Arbeitszimmer, um mal kurz die Emails zu checken. Nach fünf Minuten rief die geduldigste Gemahlin von allen: „Komm schnell, er hat sich gefangen!“ Ich eilte zurück ins Wohnzimmer, und Becker machte prompt einen Doppelfehler.
Tragischerweise versagte meine Fernwirkung ausgerechnet im letzten Match von Beckers Karriere, im Viertelfinale 99 gegen Patrick Rafter. Natürlich guckte ich nicht zu. Nicht nur dass, ich hatte sogar sämtliche Fernseher unseres Haushalts in Reparatur gebracht, obwohl sie gar nicht kaputt waren. Man sollte mir nicht nachsagen können, dass ich nicht alles versucht hätte. Aber es hat nicht gereicht, Becker ging – möglicherweise durch den Samenraub in der Wäschekammer zu sehr geschwächt – gegen den vormals sympathischen Rafter sang- und klanglos unter, wie ich später aus dem Radio (Ich hatte mich während des Matches selbstverständlich fernab von allen Kommunikationskanälen aufgehalten) erfahren musste.
Mein Einfluss auf Becker scheint übrigens bis auf den heutigen Tag fort zu bestehen. Wann immer er als Experte für Sonstwas vor eine Fernsehkamera tritt, redet er einen derart grandiosen Unfug zusammen, dass es einem die Socken auszieht und die Zehennägel aufrollt. Wenn ich zugucke. Wenn ich nicht geguckt hab, sagt man mir hinterher meist, dass Boris ganz sympathisch rübergekommen ist.

Foto von strickr

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3 Gedanken zu „Fernwirkung

  1. Selbstverständlich. Allerdings ist es mir leider nicht gelungen, die auf Video mitgeschnittenen Matches im Sinne von Becker zu korrigieren. Insbesondere das verlorene Finale gegen den „Spieläh Stisch“ scheint hartnäckig unveränderbar. Aber ich arbeite dran.

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