Splitterbrötchen (XV)

Das Schöne am Morgen: Man kann sich nur rasieren, wenn man sich auch selber im Spiegel anschauen kann.

Ich mag Bernhard Hoëcker. Wirklich. Aber manchmal habe ich Angst, ihm nicht mehr entkommen zu können.

Die Ähnlichkeitswarnung hat bei den Splitterbrötchen mittlerweile Tradition. Deshalb nur so viel: Herr Rubenbauer, schauen Sie sich mal den Doping-Sprenger vom Radsport-Verband an!

Menschen, die älter werden, bezeichnen Zeit gern als kostbares Gut. Als ob man sie sich nicht einfach nehmen könnte.

Die Arbeit am Tresen eines Kreuzberger Lokals muss ein Traumjob sein. Angetrunkene Gäste sagen so unglaublich einfallsreiche Dinge.

Auch wenn eine Sentenz äußerst originell ist, muss sie noch lange kein Aphorismus sein.

[tags]Pseudoweisheiten, Tiefsinn, Wichtigtuerei[/tags]

Bouillon!

Was für ein Scheiss-Tag! Da kommt man eine halbe Stunde zu spät ins Büro, weil man 40 Minuten auf eine 30 Sekunden dauernde Routine-Untersuchung bei der Orthopädin warten musste, wird von einer Praktikantin begrüßt, die gerade dabei ist, die Geschichte der schlechten Laune vollkommen neu zu schreiben, will dann seine Telefonliste abarbeiten und stellt zur eigenen Überraschung fest, dass alle (ALLE!) 8 (ACHT!) Leute, die auf der Liste stehen, bereits „im Wochenende“ (IM WOCHENENDE!) sind. Freitag vormittag um 10 Uhr 30. Ist die 4-Tage-Woche eingeführt worden, und ich hab wieder nix davon mitbekommen?
Ich erspare der sensiblen Leserschaft der Netzecke die weiteren Unbillen meines Tages: die steindummen, talentfreien Vollidioten, die meine Ohren abzuknabbern versuchten, die Texte, die sich meinen immer matter werdenden Bearbeitungsversuchen entzogen, die kreuzdämlichen Cold-Caller, die sogar zu doof waren, meine Beleidigungen zu verstehen… zum frühest möglichen Zeitpunkt eilte ich nach Hause, um Trost zu suchen bei der entzückendsten Ehefrau, der geduldigsten Gemahlin von allen… die sich zu Tode erschöpft von einem ähnlich harten Tag bereits zurückgezogen hat. Was jetzt? Die Rotweinflasche lockt…
Nein. Wenn es etwas gibt, was den geschundenen Menschen wieder aufrichtet, dann ist es eine gescheite Kochsession. Bouillon ist alle. Wir brauchen Bouillon. Wir kochen Bouillon!
Um die Ecke geflitzt, der Metzger des Vertrauens hat noch offen, ein paar Scheiben Rinderhesse müssen mit, eine Handvoll Kalbsknochen gibt er großzügig dazu, in der Schwarzen Olive stopft Mustafa mir das nötige Wurzelwerk in die Tüte und ich bin wieder daheim. In der Küche. Fleisch und Knochen gewaschen, in den Suppentopf gelegt, Wasser draufgeschüttet und die Hitze auf halb gedreht. Nicht volle Pulle, langsam erhitzen, das macht die Brühe voller und klarer. Sellerie, Möhren, Lauch und Zwiebel werden geputzt und in den Topf geworfen, das Gewürz-Ei wird geladen mit Petersilie, Lorbeer, Knoblauch, Nelkennägeln und Piment, aber noch nicht hineingehängt. Erst wird das Unwichtige vom Wichtigen getrennt, es wird abgeschäumt. Wenn man nicht gleich hitzemäßig Vollgas gibt, dann kann man Trübstoffe und Schmutz ganz einfach mit der Schaumkelle abheben, und was schließlich aufkocht, ist klare, reine Brühe… so soll’s doch sein. Jetzt wird gesalzen und die Gewürze werden reingehängt…
Und langsam, ganz langsam füllt sich die Wohnung mit dem Aroma der werdenden Bouillon. Der saftigen, aromatischen Brühe, die die Basis für viele zukünftige Mahlzeiten werden wird und jetzt schon den Odeur der Erschöpfung durch den Duft der Verheißung ersetzt. Jetzt – endlich! – schwindet mein Hunger und ich bekomme Appetit!
Die Bouillon ist noch Stunden von der Vollendung entfernt, aber im Kühlschrank sind noch Eier. Lauch und Pilze finden sich, ein schnelles Omelette, wunderbar! Wohlig gesättigt öffne ich den Rotwein. Sein Aroma und das der Bouillon vermischen sich, bis letztere denn fertig sein wird. Mir geht es wieder gut.
Kochen ist eine große Gnade. Wer kochen darf, dem geht’s nicht schlecht.

[tags]Kochen, Bouillon[/tags]

Vorschlag zum Pulitzer

Hiermit schlage ich die Redaktion des Online-TV-Aufzeichnungsdienstes save.tv für den Pulitzer-Preis vor. Grund für meinen Vorschlag sind herausragende Verdienste um die Kulturkritik, die sich in der im aktuellen save.tv-Newsletter veröffentlichten Zusammenfassung der neuesten Vroni-Ferres-Schmonzette „Die Frau am Checkpoint Charlie“ manifestieren:

Vergeigt: Veronica Ferres will eigentlich nur heiraten – doch als ihr Vater ohne sie stirbt, wird sie zur Furie, die gegen das System wettert.

[tags]save.tv, Ferres, TV-Film, Ungeheuer![/tags]

In der Bunten, der dreckerten

Herrgottsack, Effjott,
heuer haben Sie der Pauli Gabriele, der Landrätin, der naseweisen, aber kräftig eingeschenkt:

Sie hätten eine große Frau werden können, aber Sie sind als Cover-Girl von „Bunte“ gelandet.

Recht ham’S, Wagner-Schorsch! Des Pauli-Mensch, das hoffärtige, will zu hoch hinaus, dem muss amoi gezeigt werden, wo der Hammer hängt. Lässt dös Luder, das politische, sich für den Umschlag von dem Drecks-Blattl, der Bunten, einfach so mit der boarischen Fahnen ablichten, ja moi! Was sind das überhaupt für Kerle, die so a Drecks-Blattl wie die Bunte machen? I hab amoi nochg’schlog’n. Sie, Effjott, jetzt halten’S Eahna fest: Bei der dreckerten Bunten war mal oana Chefredaktör, der hat pfeilgerad genauso geheißen wie Sie!

[tags]Wagner, Pauli, Hirnriss, Alzheimer, Ungeheuer![/tags]

Die Killer-Kombination

Am Sonnabend hätte ich ein Stündchen länger schlafen können als sonst, hatte aber vergessen, den Wecker… was ist eigentlich das Gegenteil von „den Wecker stellen“?… also, ich hatte vergessen, den Wecker zu entstellen die Weckzeit aus dem Wecker zu entfernen, das Ding rappelte frühmorgens los und ich war wach. „Was machste nun mir der gewonnenen Stunde?“, fragte ich mich und antwortete relativ schnell: „Wenn du nicht direkt ins Büro fährst, sondern einen Umweg nach Neukölln machst und beim Benser frische Blutwurst holst, dann würde das wohl ziemlich genau eine Stunde dauern.“
Und so geschah es. Im Büro sank ich mit der zufriedenen Gewissheit in den Sessel, dass am Abend die beste Blutwurst der Welt auf den Tisch kommen würde, aber… wie? Shangri-La schien angesichts der derzeitigen Frischkräutersituation nicht angesagt, Bunzenparfait, Blunzengeröstel und Himmel und Erde sind zur Zeit etwas abgenudelt… eigentlich müsste mal ein neues Blutwurstrezept her. Also das Internetz angeworfen und… Nanu? „Ostpreußische Linsensuppe mit Blutwurst“? Hab ich ja noch nie gehört. Backpflaumen, Blutwurst und Linsen? Interessante Kombination, könnte ein Erfolg werden…
Für 4: 1 kg Blutwürste, am besten solche, die sich braten lassen. 250 Gramm Linsen (die feinen, grünen aus Puy sind optimal), 1 Stück Sellerie. 2 Möhren, eine Stange Lauch (das Weiße), 1 Zwiebel, Bouillon oder Gemüsebrühe oder Hühnerbrühe, ins Gewürz-Ei kommen Petersilienstengel, 2 Zehen Knoblauch, Lorbeer und Piment, und Gänseschmalz, Backpflaumen nach Belieben (wenn’s harte sind, sollte man sie ein wenig einweichen), ein Gläschen Wein, etwas Essig oder Balsamico. Nach Belieben Schmand.
Gemüse putzen und kleinschneiden, in nicht zu knapp Gänseschmalz andünsten, die Linsen dazugeben, kurz mitdünsten und mit der Brühe (welche auch immer man verwendet) ablöschen, aufkochen lassen, salzen und Pfeffer, das gefüllte Gewürz-Ei reinhängen und eine halbe Stunde kochen lassen. Währenddessen die Blutwürste pellen und in dicke Scheiben schneiden. 1 Blutwurst kleinwürfeln und nach einer Viertelstunde zusammen mit den Backpflaumen zu den Linsen geben. Nach einer halben Stunde sollten die Linsen weich sein, dann den Wein und den Essig/Balsamico dazukippen (nicht vorher! Sonst werden die Linsen nicht weich.) und etwas einkochen lassen. Die Blutwurstscheiben ohne weitere Fettzugabe in der Pfanne knusprig braten, in die Suppe geben, wer’s vertreten kann, gibt noch ein Löffelchen Gänseschmalz hinein und trägt’s zu Tisch. Dort steht ein Schälchen Schmand, aus dem sich jeder einen Klacks in die Suppe rühren kann, dann wird gekostet, und…
Ja. Oooooh, ja! Linsen, Pflaumen, Blutwurst… das gehört zusammen! Das wird’s jetzt öfters geben. Und beim nächsten Mal bin ich diesen betörenden Duft gewöhnt, dann werd ich vielleicht dran denken, vor dem Essen ein Foto zu machen.
[tags]Kochen, Linsen, Blutwurst[/tags]

Back with a Bang

Mensch, Effjott!
Ist das schön, dass Sie wieder da sind! 3 Wochen Sendepause – da hab ich mir schon ernsthaft Sorgen um Sie gemacht. Sah sie schon als Opfer einer typischen Dieckmann’schen Intrige, weggelobt auf einen bedeutungslosen Posten im Hause Springer (Chefredakteur der „Welt“ o.ä.) aber Sie waren wohl doch nur im Harz und auf Malle, und jetzt hat Ihre Kolumne Sie endlich wieder. Und zum Wiedereinstieg haben Sie Ihren Fans einen echten Kracher eingeschenkt:

Lieber Edmund Stoiber,

Ihre letzte Woche als CSU-Vorsitzender/Ministerpräsident bricht an. Ich stelle mir die Woche furchtbar vor – sie ist wie lebendig begraben werden. Niemand fragt, ob das Begräbnis abgebrochen werden müsse, weil die Leiche quicklebendig sei. Aber Sie sollen tot sein. Erde soll auf Ihren Mund fallen, auf Ihre Nase und Ohren. Ihre Totengräber schaufeln unbeirrt Ihr Grab.

Äh… Effjott… wie kommen Sie darauf, dass bayrische Ministerpräsidenten nach Ende Ihrer Amtszeit lebendig begraben werden? Verwechseln Sie da vielleicht Ministerpräsidenten mit indischen Witwen? Aber die haben erstens keine Amtszeit und werden zwotens verbrannt statt lebendig begraben. Außerdem verpacken wir seit geraumer Zeit unsere Toten (auch und erst recht unsere lebenden Toten) in praktische Holzschachteln (sog. „Särge“), damit ihnen die Erde nicht auf Mund, Nase und Ohren fällt. Aber dies nur nebenbei.

Eine sinnlosere Beerdigung habe ich in meinem ganzen Leben noch nie erlebt. Da wird ein Mann totgeschaufelt, der alles besser weiß, der in der letzten Achse noch einen Fehler findet, der nur fünf Stunden Schlaf braucht.

Effjott? Stoiber findet Fehler in den Achsen? Ich dachte, er wäre Ministerpräsident, aber jetzt assoziieren Sie ihn ins Qualitätsmanagement von BMW… Und wieso brauchen die Fehler in den BMW-Achsen nur fünf Stunden Schlaf? Hat Ihnen jemand was in denAbschieds-Sangria gekippt?

Da wird ein Mann für tot erklärt, dessen Gehirn wir bitter nötig haben.

Dann nehmen wir’s eben raus und stellen es in ein Einweckglas ins Regal, genau wie in den alten Horrorfilmen, die Sie so sehr lieben. Wollen wir zusammen das Drehbuch schreiben? Ich hätte schon einen fetzigen Titel: „They saved Stoiber’s Brain!“

Wenn ich die Wahl hätte zwischen Wowereit und Stoiber hätte, würde ich immer Stoiber wählen. Der Berliner Bürgermeister ist ein Was-weiß-Ich, Stoiber ein Triumphator. Ich wünschte ihn mir als Bürgermeister in Berlin. Da würden die Hartz-IVer anders strampeln.

Auch wenn das jetzt eine Riesenenttäuschung für Sie ist, Effjott: Stoiber kann gar nicht in Berlin Regierender Bürgermeister werden, solange er lediglich Mitglied der CSU ist. Um hier kandidieren zu können, müsste er in die Berliner CDU eintreten. Und das kann noch nicht mal ein Phantast wie Sie einem hochintelligenten Mann wie Herrn Stoiber zutrauen oder gar zumuten.
Trotzdem: Schön, dass Sie wieder da sind.
[tags]Wagner, Wirrnis, Stoiber, Gehirnmissbrauch, Ungeheuer![/tags]

Splitterbrötchen (XIV)

Es gibt Fernsehsendungen, während denen man sich fragt, ob es wohl möglich wäre, den ausstrahlenden Sender wegen Hausfriedensbruch zu verklagen.

Intellektuelle aller Länder, vereinigt euch! Ihr habt nichts anderes zu verlieren als eure Kausalketten!

Erstaunen bei einer nächtlichen Kanalfahrt durch Berlin: Sagenhaft! Is ja ne janz andere Stadt…

Wenn ich zum Fleischer Benser nach Neukölln gehe, um meine Blutwurst zu holen, dann denke ich jedesmal, wie weit Neukölln und sein Image auseinander liegen.

Was ich mich manchmal frage: Gibt es eigentlich etwas, was Axel Schulz nicht macht, wenn man eine Kamera auf ihn richtet?

Zu manchen Künstlern bin ich inkompatibel. Sissi Perlinger zum Beispiel. Wenn ich Frau Perlinger ein Weilchen zugesehen und zugehört habe, weiß ich nur, dass sie offenbar farbenblind ist und kolossale Schwierigkeiten hat, sich zu konzentrieren. Was sie eigentlich bezweckt, entgeht mir vollkommen. Aber das liegt sicher an mir.

[tags]Pseudoweisheiten, Tiefsinn, Wichtigtuerei[/tags]

Manieren für die Rübe

Die geduldigste Gemahlin von allen liebt Steckrüben. Während andere Männer sich glücklich preisen würden, eine Frau mit derart preiswerten Leidenschaften an ihrer Seite zu wissen, hält sich meine Begeisterung in Grenzen. Nichts gegen preiswerte, deftige Gemüsesorten, aber ausgerechnet die Steckrübe? Nicht doch ’ne Aubergine? Sogar der ubiquitöse Zucchino dünkt mich attraktiver. Oder ein Artischöckchen? Schon gut, ich hab verstanden. Steckrübe also.
In der Tat ist es möglich, der plumpen Steckrübe Manieren beizubringen. Mit Zitronensaft. Ordentlich Zitronensaft verleiht der Steckrübe nicht gerade kulinarische Eleganz, er nimmt ihr aber komplett diese leicht dösig-penetrante Muffigkeit, wegen der sie mir zuwider war. Wenn man jetzt noch neunzig Prozent aller Steckrübenrezepte außer Acht läßt, in denen sie mit fettem Schweinefleisch zu langweilig-winterlichen Eintöpfen verkocht wird, hat man schon fast gewonnen.

Hähnchenkeulen im Steckrübenbett

Hähnchenkeule auf Steckrüben-Kartoffel-Bett
Für 2 Leute braucht’s 2 Hähnchenkeulen, 400 g Steckrübe (netto) und 2 Kartoffeln, beides geschält und gewürfelt, 1 Zwiebel und 2 Knoblauchzehen (feingehackt), 50 Gramm durchwachsener, geräucherterSpeck, gewürfelt, Zitronensaft, 1 halbes Glas Weißwein, Öl, Butter, Paprikapulver scharf, Salz, Pfeffer, Schnittlauch. Öl und Butter in einer tiefen Pfanne oder einem Wok erhitzen, Zwiebeln und Knoblauch anschwitzen, Speck, Kartoffeln und Steckrüben dazu und auf kleiner bis mittlerer Hitze anbraten, mit Zitronensaft beträufeln, salzen, pfeffern, Lorbeerblatt dazu. Hähnchenkeulen mit Salz, Pfeffer und Paprikapulver einreiben, in zweiter Pfanne auf kleiner Hitze langsam anbraten (mindestens zehn Minuten Zeit lassen), Keulen rausnehmen, auf die Kartoffel- und Rübenwürfel legen, Fett abkippen, Bratensatz mit dem Weißwein ablöschen und zum Gemüse und den Keulen geben, Deckel drauf und – je nach Keulengröße und Hähnchenalter – 20 bis 40 Minuten sanft schmoren. Hähnchenkeulen raus, fein geschnittenen Schnittlauch unter das Gemüse rühren und ab auf den Tisch damit. Mahlzeit!
[tags]Kochen, Kartoffeln, Steckrübe, Hähnchenkeule[/tags]

Ein sehr gutes Jahr!

Und wieder ein Jubiläum verpasst. Gestern vor einem Jahr, am 18. September hab ich meine alte Homepage in die Tonne getreten und WordPress aufgesetzt. In diesem Jahr hatte ich jede Menge Spaß, habe via Bloggens jede Menge aufregende und nette Menschen kennengelernt und die Besucherzahlen dieser Seite verdreifacht. Es war ein sehr, sehr gutes Jahr, für dass ich mich bei allen Stamm- und Zufallsgästen mit einem… nennen wir es… äußerst originellen Videoclip bedanken möchte. Hau rein, Bill!

[tags]Netzecke, Jubiläum, Very Good Year[/tags]

Der Feind an meinem Schloss

Mensch, Herr Römer!
Heute fand ich eine üble, dämliche Spam- eine faszinierende Werbe-Email von Ihnen, dem Chefredakteur des im Rudolf Haufe Verlag erscheinenden Wirtschaftsmagazins ProFirma, in meinem elektronischen Postfach. Ihre Mail-Eröffnung „Sehr geehrter Herr Kurbjuhn, als Mittelständler werden Sie gern als das Fundament unserer Wirtschaft bezeichnet…“ war schon ein Hammer, aber dann haben Sie mir auch noch ganz markig „Jetzt ist es Zeit, zu zeigen, was im deutschen Mittelstand steckt!“ zugerufen.
Also, Herr Römer, ich will da ganz ehrlich sein… Wie sag ich Ihnen das jetzt? Am besten, ich erzähl mal, was mir gestern am frühen Abend passiert ist, als ich die Tür zu unseren Büroräumen abschließen wollte. An der Tür ist ein Sicherheitsschloss dran, und der Schlüssel dazu hat so einen viereckige Reide (so heißt das Teil, wo man den Schlüssel anfasst, hab ich gerade in der Wikipedia nachgelesen), und weil das der einzige Schlüssel mit viereckiger Reide an meinem Schlüsselbund ist, schliess ich den immer zuerst zu. Weil ich ihn zuerst finde. Und gestern passte der Schlüssel nicht mehr.
Da verstand ich die Welt nicht mehr. Ich hatte doch gestern früh aufgeschlossen, verdammt noch mal, und dann die ganze Zeit im Büro gesessen, da kann niemand das Schloss ausgetauscht haben, ohne dass ich es gemerkt habe. Okay, ich war mittags mal fünf Minuten weg, mir ein Schälchen Kisir vom Gemüsehändler holen, wenn da vielleicht ein blitzschnell arbeitender Schlüsseldienst… aber meine Frau war doch da, die hätte mir doch gesagt, wenn da… Und dann hab ich den Schlüssel umgedreht und nochmal probiert, und er passte immer noch nicht, und ich hab ihn mir genau angeguckt, ob er vielleicht abgebrochen oder verbogen ist, aber das war er nicht, der Schlüssel war hundertprozentig intakt, und dann bin ich auf die Knie gegangen und hab versucht, in das Schloss reinzugucken. Vielleicht hatte ja irgendwer was reingefriemelt, so dass der Schlüssel nicht mehr passte, aber ich konnte nix erkennen. Dann hab ich eine Taschenlampe gesucht, und als ich die gefunden hatte, wusste ich, dass das ein vollkommen idiotischer Versuch ist, mit einer Taschenlampe in ein Sicherheitsschloss reinzuleuchten, weil man genauso wenig sieht wie ohne Taschenlampe.
Ich war mittlerweile vollkommen ratlos, und hab mir gedacht, dass ich’s noch einmal probiere und dann den Schlüsseldienst anrufe, und dann hab ich’s probiert, und der Schlüssel hat gepasst, und das war der Moment, in dem ich endgültig den Boden unter den Füßen verlor und mir sicher war, dass ich Opfer einer Verschwörung geworden bin, genau, die Al-Qaida will mich weichkochen, damit ich nicht als Abschusspilot für Verteidigungsminister Jung in Frage komme, weil psychisch dermaßen angeknackste, labile Menschen wie ich, die taugen nicht zum Abschuss von Verkehrsmaschinen, genau, das war’s, Bin Laden vertauscht andauernd die Schlösser an unserer Bürotür, um die Terrorabwehr zu sabotieren. Ich war erst mal froh, das geklärt zu haben und fragte mich, wen ich zuerst verständige: Herrn Jung, Herrn Schäuble oder doch den Schlüsseldienst, als ich den zweiten Schlüssel mit viereckiger Reide an meinem Schlüsselbund entdeckte.
Und dann fiel mir ein, dass ich ja seit dem Wochenende zusätzlich den viereckigen Wohnungsschlüssel meiner Nichte am Schlüsselbund hatte, weil ich dort die Katze füttern musste. Und ich war heilfroh, dass ich noch nicht Herrn Jung und Herrn Schäuble angerufen hatte, weil DAS hätte ich ihnen ungern erklärt, wenn sie gerade eine Alarmrotte in die Luft geschickt bzw. den Bundestrojaner von der Leine gelassen hätten. Das mit dem Schlüsseldienst hätte ich allerdings geregelt bekommen.
Also, Herr Römer, das ist es, was im deutschen Mittelstand steckt. Und wenn ich tatsächlich das Fundament der Wirtschaft bin, dann solten Sie in Ihrem komischen Unternehmer-Käseblatt geschmackvoll aufgemachten Hochglanzmagazin möglichst zeitnah abdrucken, dass der deutschen Wirtschaft eine vom Mittelstand ausgelöste Katastrophe ungeahnten Ausmaßes droht. So sieht’s nämlich aus.
Mit marktwirtschaftlichem Gruß
Der Chris
[tags]Mittelstand, Gehirnschwund, Terrorabwehr, Bundestrojaner, Top Gun, Ungeheuer! [/tags]