100

Heute wäre mein Vater, Ernst Kurbjuhn, 100 Jahre alt geworden. Hätte ich – oder irgendjemand anders – ihm einmal gesagt, dass die Menschen 100 Jahre nach seiner Geburt zum Rauchen und Telefonieren auf die Straße gehen würden… Er hätte an meinem Verstand oder dem der ganzen Menschheit gezweifelt. Vollkommen zurecht, übrigens.
[tags]Kurbjuhn, Geburtstag, Vater[/tags]

Neues vom Freunde

Wohl dem, der Freunde hat. Dieser nennt mich seit Jahren einen guten solchen, und ich selber tue gleiches gern. Doch dann hört man plötzlich nichts mehr voneinander, erst 6 Monate lang, dann ist schon über ein Jahr vergangen. Kommt ja vor, man hat zu tun, die Termine!
Dann hat man selbst einen Termin, runder Geburtstag, selbstverständlich muss der Freund dabei sein! Ich rufe an, doch der geht nichts ans Telefon. Ich weiß, er hat es in der Hand gehalten, als es klingelte. Unmittelbar zuvor war noch besetzt. Doch er nimmt meinen Anruf nicht an und und ruft auch nicht zurück, trotz Bitte auf der Mailbox. Will er nicht mehr? Gibt doch keinen Anlass!
Man ist doch Freund, deshalb wird Mail geschickt und eingeladen. Und diesmal antwortet er, kann leider nicht kommen, schade, schade, die Termine! Doch bald würde man sich sehen, dass sei versprochen. Am Geburtstag selber vom teuren Freunde nichts, keine Mail, kein Anruf… die Termine offensichtlich! Doch eine Woche später: Elektronische Post, er mailt, dass er nächste Woche in Berlin sein wird, so dass wir meinen Geburtstag – zu dem er nach wie vor merkwürdig hartnäckig jegliche Gratulation verweigert – nachfeiern könnten. Es bleibt bei der Ankündigung. Wochen verstreichen. War er überhaupt in der Stadt? Und als ich kurz vor Silvester glaube, mich über gar nichts mehr wundern zu können, überrascht er mit neuerlicher Mail: In der ersten Januarwoche des Jahrs 07, da wird er nun ganz bestimmt in Berlin sein, da könne man sich endlich wieder in die Arme nehmen und den Geburtstag – diesbezügliche gute Wünsche muss ich auch nach dieser Mail weiterhin entbehren – endlich, endlich nachfeiern! Welch ein Glück! Überschäumende Freude!
Auf die in der ersten Januarwoche die – mittlerweile erwartete – Funkstille folgt. Sicher sind’s wieder die Termine!
Diesmal schweigt er bis letzte Woche. Da erreichen mich zwei Mails an einem Tag, beide vom teuren Freunde. Sensation! In der ersten Mail teilt er mir mit, dass er wegen einer Vertragsumstellung für 7 (ja, sieben!) Tage (ja, Tage!) eine neue Handynummer hat. Dann könne ich die alte wieder nutzen. Und in der zweiten Mail, bloße zwei Stunden später abgesandt, teilt er mir mit, dass die alte Nummer doch ab sofort schon wieder gelte.
Ist doch schön, dass er einen auf dem Laufenden hält. Bei all den Terminen!
[tags]Termine, Freundschaft, Kommunikation, Soziopathie [/tags]

Rory! Rory!

Das waren einmalige Abende, wenn er Gitarre spielte. Das lag nicht nur an der einzigartigen Musikalität und Virtuosität, mit der er sich in den Bluesrock reinhängte, das lag zuallerersteinmal an seiner unglaublich warmherzigen Persönlichkeit, die bis in die letzten Reihe der größten Halle, des riesigsten Stadions strahlte.
Ich erinnere mich an ein ganz entsetzliches Open-Air-Festival in Göppingen, 1977 oder 78 war das, mehrtägiger Dauerregen hatte den Veranstaltungsort in eine Schlammwüste veranstaltet, die Stimmung im Publikum war unglaublich mies, und als Pseudo-Macho Ted Nugent (der Mann, der noch schneller und hirnloser Gitarre spielen konnte als Alvin Lee) nach gerade mal zwei hoffnungslos übersteuerten Titeln bei den ersten Donnerschlägen eines noch meilenweit entfernten Gewitters panikartig die Bühne verließ, lag Krawall in der Luft. Zwei Tage Dauerregen, Schlamm, lauwarmes Dinkelacker-Bier… wann randalieren, wenn nicht jetzt?
Und dann kam er auf die Bühne, die uralte, verranzte Stratocaster umgehängt, die Arme weit ausgebreitet und dieses warme, strahlende Lächeln im Gesicht… „Rory! Rory!“ brüllten wir alle, und ich schwöre bei Gott, nach den ersten paar Takten von „Too much Alcohol“ hörte es auf zu regnen und die Sonne brach durch die bleierne Wolkendecke.
Zu einem Rory-Gallagher-Konzert bist du nicht gegangen, um einem Superstar zuzusehen und hinterher zu sagen, ob er heute in Form war oder nicht. Wenn Rory in die Stadt kam, dann kam ein guter Kumpel zu Besuch, der fantastisch Gitarre spielen konnte. Und einen guten kumpel konnte man doch nicht im Stich lassen, oder?
Und wie er spielte. Wenn er die Ärmel des karierten Flanellhemds aufkrempelte, und die Gitarre nicht nur mit seinem ganzen Körper, sondern mit seiner Seele zum Singen brachte… Das waren Sternstunden, wenn er improvisierte. Laundromat. Sinner Boy. Bullfrog Blues. Ach.
Und ist es nicht paradox, dass wir Stunden um Stunden einem der größten Gitarrenvirtuosen aller Zeiten zuhörten und nur auf den Moment warteten, wo er mit diesem Lächeln, diesem unglaublich warmen Lächeln, die Stratocaster ablegte, um sich seine Mandoline reichen zu lassen? Dann haben wir „Rory! Rory!“ geschrieen, weil wir wussten, jetzt kommt „Going to my Hometown.
Und noch Stunden nach dem Konzert sind wir besoffen von Musik durch die Straßen gelaufen und haben „Rory! Rory!“ gebrüllt. Das geht nun nicht mehr. Vor zwölf Jahren ist er gestorben, mit 47. Ach. Er fehlt.
[tags]Blues, Rock, Rory Gallagher, Ehrlichkeit[/tags]

Netzecken-Rätsel: Grappa im Teppich?

Gestern, beim Wein kam – Ulrike hatte mal wieder sen-sa-tio-nell gekocht und Harald ein paar exquisite Fläschchen aufgemacht, vielen Dank – wie das Gespräch auf Sternstunden des Kino- und Fernseh-Trashs. Da fiel mir ein Film ein, den ich in den Kinderjahren der Nacktsender in den Anfängen des Privatfernsehens irgendwann spät in der Nacht bzw. eher früh am Morgen auf Sat1, RTL o.ä. gesehen habe. Es handelte sich um einen Billig-Agententhriller (vermutlich europäischen Ursprungs) aus den späten sechziger oder frühen siebziger Jahren. Den Protagonisten und den Plot habe ich komplett verdrängt, der Schurke des Films ist mir jedoch unvergesslich geblieben: der spielte nämlich die ganze Zeit mit einer elektrischen Eisenbahn. Und wenn er mal über etwas nachdenken musste, ließ er sich eine Flasche Grappa kommen, trank dieselbe auf ex und wickelte sich anschließend in einen Teppich ein.
Wenn die geschätzten Leserinnen und Leser jetzt ungläubig gucken, dann wissen sie, wie gestern Abend Harald, Ulrike und die geduldigste Gemahlin von allen geguckt haben, als ich von diesem Meisterwerk der Filmkunst erzählt habe.
Google und die IMDB haben mir nicht weiterhelfen können. Jetzt müssen’s die Netzecken-Leser wissen. Wer kennt den Titel des von mir beschriebenen Films? Diejenige oder denjenigen, der in den Kommentaren als erster den korrekten Filmtitel nennt, lade ich stadnesgemäß auf einen Grappa in die Teppichabteilung des KaDeWe ein!
[tags]Trash, Kino, Grappa, Modelleisenbahn, Teppich, Thriller, gehirnalbern[/tags]

40 Jahre Sgt. Pepper

Wo wir gerade bei den Beatles sind… Heute vor vierzig Jahren wurde Sgt. Pepper veröffentlicht. In ein paar Tagen ist es dann vierzig Jahre her, dass ich die Platte zum ersten Mal hörte. Ich kann noch immer alle Lyrics auswendig.
Auf Youtube habe ich diese – leider nur vierzig Sekunden lange – Video-Perle gefunden. I hope you will enjoy the show.

[tags]Beatles, Sgt. Pepper[/tags]

Netzecken-Beatles-Rätsel: Wer findet den Fehler?

Der Erfolg der mittlerweile beinahe zahllosen Doppelgänger- oder Stellvertretershows wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. Ich weiß einfach nicht, warum ich Eintritt bezahlen soll, nur um Künstlern zuzusehen, die andere Künstler nachmachen, die deutlich origineller und populärer sind als sie selbst. Aber bitte, auf mich als Publikum sind die Herrschaften ja nicht angewiesen, und deshalb jagt man im Neuköllner Estrel die nächste Sau durchs Dorf die wehrlosen Beatles auf die Bühne.
Beatlesdoubles im Estrel

Und obwohl man den Herrschaften auf dem Plakat eine gewisse Ähnlichkeit mit ihren Vorbildern nicht absprechen kann: Das Plakat enthält einen gravierenden Kopierfehler, den man auf einem Foto leicht hätte vermeiden können. Wer sieht’s zuerst? Der- oder diejenige, die in den Kommentaren den Fehler als erste/r nennt, erhält ein Foto der „Fab Four“ mit von mir persönlich gefälschten Originalunterschriften.
[tags]Beatles, Estrel, Doppelgänger, Schwachsinnskonzept, Fehler[/tags]

Worscht with a View

Man kann gegen Nordhessen und seine nordhessischen Bewohner vieles sagen, was man will, aber zwei Dinge gibt es im Werratal, die wahrhaft unvergleichlich sind: die märchenhaft schöne Landschaft und die Ahle Worscht, eine luftgetrocknete Mettwurst von außergewöhnlicher Delikatesse. Letzte Woche entdeckte ich einen Ort, der beides – Landschaft und Wurst – nachgerade magisch miteinander vermählt: die Brettljause.
Brettljause

Die Brettljause liegt am Hohen Meißner, auf einer Terrasse vor der – zur Zeit in Renovierung befindlichen – Traditionsgaststätte Schwalbenthal.
Und die Brettljause ist eigentlich nur eine kleine Hütte mit einem kleinen Biergarten.
Hütte

Doch wenn man sich auf einer der Bänke niedergelassen hat, und runter ins Werratal guckt …
View

… und der nette Herr aus der Hütte dann eine großzügige Portion Ahle Worscht aus Hausschlachtung (!) von absolut überirdischer Qualität vor einen hinstellt …

Wurstbrett

… dann ist man mit sich, mit der Welt und sogar mit den nordhessischen Klotzköppen derart im Reinen, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Ab sofort gehört die „Brettljausen“ (im Sommer nur Samstags und Sonntags geöffnet) zum Pflichtprogramm bei Heimatbesuchen.

Fernwirkung

BB

Auf der Rückseite der Reeperbahn wird heute von einem Franken berichtet,, der durch seine Anwesenheit bzw. seine bloße Gedankenkraft das Verletzungspech von Fußballprofis steuern kann. Eine ähnliche Fernwirkung hatten ich und mein Fernseher auf die Karriere des späten Boris Becker.
1995 wurde ich auf das Phänomen aufmerksam. Ich verfolgte Beckers Halbfinale gegen Agassi, und als er zwei Sätze kläglich verdattelt hatte und auch im dritten chancenlos schien, drehte ich entnervt den Fernseher ab und ging mit der geduldigsten Gemahlin von allen essen. Gute zwei Stunden später kamen wir zurück, ich drehte den Fernseher wieder an und erfuhr fassungslos, dass der chancenlose Boris das Match doch noch gedreht und ich eins der klassischen Becker-Matches überhaupt verpasst hatte. Das sollte mir nicht nochmal passieren, schwor ich mir, als ich am nächsten Tag Beckers Finale gegen Sampras einschaltete. Tatsächlich gewann Becker den ersten Satz im Tie-Break, verlor dann die Sätze Zwo und Drei relativ schnell und glatt und sah im vierten Satz auch überhaupt nicht gut aus. Aber diesmal blieb ich vorm Fernseher kleben! Nochmal würde ich den „Come-Becker“ nicht verpassen. Ich überwand Zweifel und bohrende Hungergefühle und durfte erleben, wie Becker nach vollkommen chancenlosem Beginn… ebenso chancenlos den ganzen Satz, das Match und damit das Turnier vergeigte.
Nun ja, das wäre alles nicht der Rede wert, wenn sich das oben geschilderte nicht für den Rest von Beckers Karriere fortgesetzt hätte. Wann immer ich Becker zusah, verlor er seine Matches, meist sogar schmählich. Wenn ich nicht vor dem Fernseher saß, gewann er ausnahmslos, meistens in triumphalen, bildschönen Matches. Wenn ich ihn beobachte und er – natürlich – auf die Verliererstraße geriet, genügte es, wenn ich den Fernseher ausschaltete, um Boris Rückkehr ins Match und seinen relativ kommoden Sieg zu sichern.
Oft konnte ich Beckers Spiel sogar durch das bloße Verlassen des Fernsehzimmers beeinflussen. Während ich zusah, produzierte Boris unforced errors in Serie, haderte mit sich und der ganzen Welt. Entnervt ging ich ins Arbeitszimmer, um mal kurz die Emails zu checken. Nach fünf Minuten rief die geduldigste Gemahlin von allen: „Komm schnell, er hat sich gefangen!“ Ich eilte zurück ins Wohnzimmer, und Becker machte prompt einen Doppelfehler.
Tragischerweise versagte meine Fernwirkung ausgerechnet im letzten Match von Beckers Karriere, im Viertelfinale 99 gegen Patrick Rafter. Natürlich guckte ich nicht zu. Nicht nur dass, ich hatte sogar sämtliche Fernseher unseres Haushalts in Reparatur gebracht, obwohl sie gar nicht kaputt waren. Man sollte mir nicht nachsagen können, dass ich nicht alles versucht hätte. Aber es hat nicht gereicht, Becker ging – möglicherweise durch den Samenraub in der Wäschekammer zu sehr geschwächt – gegen den vormals sympathischen Rafter sang- und klanglos unter, wie ich später aus dem Radio (Ich hatte mich während des Matches selbstverständlich fernab von allen Kommunikationskanälen aufgehalten) erfahren musste.
Mein Einfluss auf Becker scheint übrigens bis auf den heutigen Tag fort zu bestehen. Wann immer er als Experte für Sonstwas vor eine Fernsehkamera tritt, redet er einen derart grandiosen Unfug zusammen, dass es einem die Socken auszieht und die Zehennägel aufrollt. Wenn ich zugucke. Wenn ich nicht geguckt hab, sagt man mir hinterher meist, dass Boris ganz sympathisch rübergekommen ist.

Foto von strickr

[tags]Sport, Tennis, Becker, Fernsehen, Todesstrahlen, PSI, Weltherrschaft[/tags]

Jugendvorstellung

Mitte der sechziger Jahre. als ich acht, neun Jahre alt war, fing ich an, alleine ins Kino zu gehen. Immer in die Jugendvorstellung. Die war samstags und sonntags um 14 oder 15 Uhr in Eschwege in der „Palette“ und im „Corso“, da kam man für 1 DM (später hat’s 1,50 DM gekostet) in die „Rasierloge“. So hießen die beiden vorderen Reihen, weil man da das Kinn ziemlich hoch halten mußte, um den Film sehen zu können. Machte nix, wenns dunkel wurde und die Platzanweiserin aus dem Saal ging, konnte man sich sowieso nach hinten setzen, mehr als 10, 20 Leute waren nie in der Jugendvorstellung.
Konnte sein, dass das an den Filmen lag, die da gespielt wurden. In Palette und Corso gab’s Edeltrash vom feinsten, 20 Jahre bevor der Trash erfunden wurde. Fast sämtliche Tarzan-Filme hab ich da gesehen, jede Menge Western mit dem legendären Fuzzy, unglaublich lieblos zusammengestückelte Laurel & Hardy-Kompilationen und natürlich jede Menge Sandalenfilme.
Irgendwann hab ich aufgehört, mich in die hinteren Reihen zu verkrümeln, wenn’s dunkel wurde. Im Kino muss man vorne sitzen, um die volle Breitseite abzubekommen.
Jahrelang hab ich keine einzige Jugendvorstellung ausgelassen, und einer war fast genauso oft dabei wie ich. Der ist letzten Montag gestorben. Gordon Scott war Tarzan, Maciste, Zorro, Buffalo Bill…
Schade.
[tags]Gordon Scott, Kino, Trash, Tarzan, Maciste, Zorro[/tags]

Der andere Effjott

Im heutigen Tagesspiegel steht, dass Effjott Krüger gestorben ist, der Gitarrist von Ideal. Schade. Ein absolut aufsehenerregender Mann mit ausgeprägtem Stilempfinden. Unvergessen, wenn er im knallroten 190er Cabrio die Potsdamer Straße herunterfuhr, neben sich eine entsprechend gestylte Dame im Petticoat. Da blieben die braven Berliner mit hängenden Unterkiefern stehen und staunten. „Wat? Det issen Musiker? Na, typisch!“ Nu ja, typisch nun gerade nicht. Hat aber sehr schön stählern gescheppert, die Gitarre des anderen Effjott. Schade, dass man „nach Ideal“ so wenig von ihm gehört hat. Schade, dass man nun endgültig nichts neues mehr von ihm hören wird.

[tags]Ideal, Musik, Zeitgeist, West-Berlin, Effjott Krüger[/tags]