Mit rohem Fisch zu Wolfram Siebeck – eine Erinnerung

„Gestern Abend hat er gesagt, er wolle gegen halb zwölf mal in der Küche vorbeischauen. Jetzt ist erst elf, dann zieh ich jetzt den Strudelteig aus, bevor er zuguckt…“ Ich nehme mir den Klumpen Strudelteig, rolle ihn aus, greife mit beiden Händen unter den Teigfladen und… in diesem Augenblick fliegt die Küchentür auf, Wolfram Siebeck und Frau Barbara stürmen herein, einen Fotografen im Schlepptau. Geistesgegenwärtig tu ich so, als wäre mir was runtergefallen und versuche, unter den Küchentisch zu tauchen… zu spät! „Guck mal, er zieht den Strudelteig!“, ruft Barbara Siebeck und eilt herbei. Unter den Augen von Barbara und Wolfram Siebeck reiße ich dann jede Menge Löcher in den Strudelteig und stammele sinnloses Zeugs, während der Fotograf ein Foto nach dem anderen schießt… Alptraum eines Hobbykochs? Nee, ist mir wirklich passiert.

Siebeck guckt in meine Pfanne

Siebeck guckt in meine Pfanne

Im Frühjahr 2009 hab ich mich irgendwie ins Halbfinale des ZEITmagazin-Kochwettbewerbs gemogelt und durfte im Park Hyatt Hotel in Hamburg für die Siebecks und ein paar andere Jury-Mitglieder kochen. Damit ging  für mich ein Traum in Erfüllung. Mein erstes Kochbuch war von Siebeck,  ich hab so gut wie alle Siebeck-Bücher im Regal, und die gehören zu den wenigen Büchern, aus denen ich auch wirklich gekocht habe. Auch wenn Siebeck von den Kritikern des Kritikers gern als elitär bezeichnet wird, als Kochbuch-Autor war er der größte Praktiker unter der deutschen Sonne. Fast alle seine Rezepte sind alles andere als elitär, sondern einfach, machbar und gelingsicher.

Über Siebecks Verdienste als Autor vergisst man gerne seine Verdienste um das Sortiment des Lebensmitteleinzelhandels. Siebeck ist der Mann, der die Créme Fraiche in den deutschen Supermarkt geschrieben hat. Anfang der Siebziger Jahre begann er ausdauernd gegen das Angebot in Deutschlands Kühlregalen zu polemisieren. Da gab es damals saure Sahne, süße Sahne, Sprühsahne… und das war’s. Mit der Hartnäckigkeit eines Cato („Ceterum censeo“) prangerte er das an und ließ keine Gelegenheit aus, gegen das Fehlen von Créme Fraiche und Créme Double zu polemisieren und ihre zukünftige Anwesenheit im Sortiment zu fordern. Mitte, Ende der Siebziger war’s soweit. Die ersten blauen Becherchen eines bekannten Lebensmittelkonzern tauchten in den Supermärkten auf, wir konnten endlich mit Creme Fraiche kochen! War Siebeck zufrieden? Natürlich nicht. Umgehend wies er daraufhin, dass die Créme Fraiche des blauen Doktors deutlich weniger Fett enthielt als die französische, deren Wohlgeschmack nach wie vor unübertroffen war. Das war typisch Siebeck. Der Mann war mit dem Allerbesten gerade mal eben so zufrieden. Das haben ihm die Ahnungslosen als Arroganz ausgelegt.

Am Vorabend des Wettkochens hatte ich das große Vergnügen,  Siebeck zwei Stunden lang in der Hotel-Bar bei Wein und Tapas zuhören zu dürfen. Nachdem er ein, zwei Anekdoten erzählt hatte, begriff ich, dass dieser Mann alles andere als arrogant war, sondern schlichtweg so viel über edles Essen und Trinken wusste wie sonst niemand auf Gottes weiter Erde. Herrgottnochmal, der Mann war ja tatsächlich überall gewesen und hatte bei allen Schwergewichten der Gastro-Szene das Besteck in die Hand genommen. Der wusste Bescheid wie sonst kein zweiter. Wie kann das arrogant sein, wenn jemand sich wirklich auskennt?

„Und morgen musst du für diesen Siebeck kochen“, schoss es mir durch den Kopf, und praktisch gleichzeitig nahm mein Herz den direkten Weg ins Beinkleid. Jeder Gedanke, irgendwie mit meiner pannonischen Hausmannskost punkten zu können, verabschiedete sich in Richtung Kompost-Eimer. Schadensbegrenzung und Bekämpfen der eigenen Nervosität war angesagt, sonst nix.

Unterstützt von der besten, geduldigsten Gemahlin von allen hab ich mich dann irgendwie aus der Affäre gezogen. Beim Krautstrudel hab ich das Kernöl vergessen, und der Biskuit von den Somloer Nockerln wäre lockerer möglich gewesen (Hab ich überhaupt die Rumrosinen dazugegeben?)… das emotionale Highlight war jedoch die Fischsuppe. Ich kippte die heiße Suppe in die vorgewärmte Terrine und fügte die rohen Fischstücke hinzu, die sollten ja nur drei Minuten in der heißen Suppe ziehen, dann sind sie auf den Punkt. Dann griff ich mir die Terrine und machte mich auf den Weg ins Speisezimmer der Jury. „Du trägst gerade rohen Fisch zu Wolfram Siebeck“, dachte ich plötzlich und konnte nur mit knapper Not eine Ohnmacht verhindern. Vermutlich hätte ich die Suppe auch offensiver salzen sollen.

Egal, am Ende des Tages waren die geduldigste Gemahlin von allen und ich stolz wie Bolle auf den zweiten Platz. Und heilfroh, dass wir nicht im Finale waren, wo wir das alles nochmal hätten kochen müssen. Andererseits wäre das Finale die Möglichkeit gewesen, Herrn Siebeck ein zweites Mal zu treffen.

Das geht nun nicht mehr. Was verdammt schade ist. Ein ähnlich kenntnisreicher und leidenschaftlicher Gastrosoph ist derzeit nicht in Sicht. Fast all mein Küchenwissen verdanke ich Wolfram Siebecks Büchern und Kolumnen. Ich bin traurig und sehr dankbar, dass ich ihn kennenlernen durfte.

 

 

Quelle aventure!

Heute wird der Kino-Held meiner jungen Jahre, der größte Filmschauspieler aller Zeiten, für den ich mein Taschengeld blind an der Kinokasse deponierte, unfassbare 83 Jahre alt.

Ich weiß, 1 Stunde 45 Minuten sind viel Holz. Und dann noch alles auf französisch… Aber es lohnt. Wie jede Minute, die ich im Kinosessel verbracht habe, um diesem Mann zuzuschauen.

https://youtu.be/KCvCgs9z1Fs

Quelle Aventure!

Yuppi Du ist wieder da!

https://youtu.be/1_s81D0SWig

Soeben hat mich ein Mitstreiter der „Verdammt nochmal, Celentano, bring endlich Yuppi Du auf DVD raus!“-Bewegung darauf aufmerksam gemacht, dass ein Wunder geschehen ist: Yuppi Du erscheint am 28. August hierzulande auf DVD, inkl. deutscher Synchro. Das bedeutet, dass einer der meist kommentierten und am häufigsten gegoogleten Beiträge dieser Website obsolet wird, aber das ist mir sowas von mumpe: Yuppi Du non e‘ morta, e‘ ritornata dal canal!

Nachtrag 2. 9. 2015:
Die DVD ist mittlerweile bei mir angekommen. Ich kann Sie leider nur Menschen empfehlen, die „Yuppi Du“ so dringend wiedersehen wollen, dass Sie dafür eklatante technische Mängel in Kauf nehmen wollen. Auf der DVD befinden sich keine Extras, nur der Film in deutscher Synchronfassung. Die auf der amazon-Seite beworbene italienische Sprachversion ist NICHT auf der DVD. Die Bildqualität ist schlichtweg unterirdisch. Offenbar wurde hier eine total heruntergerockte 35mm-Verleih-Kopie abgetastet und auf DVD gebrannt. Der Film ist durchgehend stark „verregnet“ (schwarze Streifen), einige Szenen sind nicht komplett. Wieso man diesen Weg gegangen ist und keine DVD auf Basis der 2008 für die Filmfestspiele Venedig aufwendig restaurierten Kopie erstellt hat, ist mir ein komplettes Rätsel.

Eschwege im Johannisfest-Sommer 2015

Willkommen

Bratwurst

Nordhessische Ressourcen. Dies ist die letzte Bratwurst von Wagner in der Luisenstraße, die ich genießen dürfte. Der Ruhestand sei ihnen gegönnt. Trotzdem fühle ich im Stich gelassen.

Seebaer

Neustadt

Die Neustadt im Johannisfest-Fieber.

SAMSUNG CAMERA PICTURES

Die Schulfahne der Friedrich-Wilhelm-Schule beim Maien-Zug. Auch ich hatte mal das höchst zweifelhafte Vergnügen, sie zu tragen. Nicht zu zweit, wie das heutzutage gemacht wird. Allein. An einer langen, schweren Fahnenstange. Von Eschwege nach Grebendorf und zurück. Eine der sinnlosesten Aktionen, an denen ich je teilgenommen haben.

Riesenrad

Der Dreiklang des Werdchens, der Festwiese: Kettenkarussell, Riesenrad und der Leuchtberg dahinter. Seit Jahrzehnten das gleiche Arrangement.

HausEschwege war einmal ein Anziehungspunkt für Architekten mit Sinn für das Schöne.

Friseur

Heute scheint die Stadt in der Hand kalauernder Friseure zu sein.

Reiter

Die Johannisfest-Reiter erfrischen sich vor dem Traditionslokal „Zur Struth“. Wie die Tradition es erfordert, wird die Erfrischung aus kleinen Gläsern und mehrfach zu sich genommen.

AKEBulli

Bier

So ist das hier. Getrunken wird immer. Prost.

Are you kidding?

Foto: Andreas Praefcke (Own work (own photograph)) [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

By Photo: Andreas Praefcke (Own work (own photograph)) [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

Vor ca. 20 Jahren habe ich für einen englischen Kollegen Recherchen angestellt: Er brauchte Berlin-spezifische Informationen für ein Stück, das er schreiben wollte, ich hab für ihn die Archive abgeklappert und tatsächlich konnte ich die ein oder andere Sache zutage fördern, so dass er schließlich nach Berlin kam, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Wir verbrachten zwei sehr anregende Tage miteinander, ich führte ihn herum und dabei kamen wir auch am leerstehenden Schiller-Theater vorbei.

»What‘s that?«, fragte er.
»That used to be something like our National Theatre.«
»Used to be?«
»It‘s closed.«
»But why?«
»No money.«
»Are you kidding? You‘re one of the richest countries in the world!«

In dem Augenblick habe ich mich plötzlich sehr geschämt, Bürger dieser Stadt und dieses Landes zu sein. Auch weil ich erst dann wirklich begriffen habe, wie kleingeistig die Schließung des Schiller-Theaters gewesen ist. Wieso verdammt nochmal hat dieses Land, in dem täglich Millionen und Milliarden verdient werden, die paar Puseratzen für Kultur nicht übrig?

Der Satz des Kollegen geht mir seitdem nicht mehr aus dem Ohr. Ich werde oft, viel zu oft an ihn erinnert. Gerade dieser Tage muss ich wieder sehr oft an ihn denken. Wenn ich sehe, dass diesem stinkreichen Land die schwarze Haushaltsnull wichtiger ist als das Leben von tausenden Menschen, die im Mittelmeer elend verrecken. Weil die Ressentiments konservativer Wähler, die ihre Gartenzwerg-Idylle durch ein kilometerweit entferntes Flüchtlingsheim bedroht sehen, wichtiger genommen werden als die elementarsten Grundsätze der Mitmenschlichkeit. Weil wir lieber mit dem Finger zeigen als die helfende Hand zu reichen.

»Are you kidding? You‘re one of the richest countries in the world!«

Die Anlässe sich zu schämen werden nicht weniger.

„Schon 2009“

Ich habe einmal miterleben müssen, wie ein Kollege während einer Theateraufführung einen schweren Nervenzusammenbruch erlitt. Wir hatten gerade noch in der Garderobe locker geplaudert, den üblichen Unsinn, den man in Theatergarderoben so erzählt, haben dann dann das Zeichen vom Inspizienten bekommen und sind zum Auftritt gegangen. Wir waren zu dritt und spielten vollkommen unwichtige Nebenrollen, Knallchargen, Stichwortgeber für den Protagonisten. Nichts Anstrengendes, einer von vielen Bread-and-Butter-Jobs. Wir standen am Auftritt, es waren vielleicht noch 30 Sekunden bis zu unserem Stichwort, da fiel der Kollege plötzlich um. Wir bückten uns, um ihm aufzuhelfen, da begann er mit schriller Stimme zu kreischen, robbte in panischer Angst vor uns weg und rief um Hilfe. Auf Französisch.

In solchen Momenten läufst du auf reinem Adrenalin, wir nahmen den armen, sich heftig wehrenden Mann zwischen uns und schafften ihn in den Garderobengang, wo bereits andere Kollegen zusammengelaufen waren. „Krankenwagen, sofort“ riefen wir denen zu, setzten den Mann auf einen Stuhl und sprinteten zurück auf die Bühne, um den Knallchargen-Auftritt improvisiert zu zweit zu erledigen. Wenn die Aufführung läuft, gibt es nichts wichtigeres als die Aufführung. „The Show must go on“, sagen die Engländer.

Von einer vollkommen normalen Alltagssituation bis zu einem erschütternden Zusammenbruch, von dem ich noch heute gelegentlich träume, hat es damals gerade mal zwei Minuten gedauert. Daher versteht man vielleicht, dass ich angesichts von Schlagzeilen wie „Lufthansa wusste seit 2009 von der Depression des Co-Piloten“ noch nicht mal mehr den Kopf schütteln mag. Wie kenntnislos, dumm und zynisch muss man sein, um so einen Mist zu schreiben und zu titeln?

Der Kollege hat sich übrigens erholt und nach einer Therapie wieder als Schauspieler gearbeitet. Inzwischen habe ich ihn aus den Augen verloren.

 

Kurzdurchsage wg. Impfung, Impfangst, Voodoo

Ich hatte als Kind neben anderen Kinderkrankheiten unter anderem Mumps und Masern. Das war richtig Scheiße. Eltern, die ihre Kinder nicht dagegen (und gegen andere Krankheiten) impfen lassen, können sich aussuchen, was ich von ihnen halte:
a) Vollidioten
b) Kriminelle
c) kriminelle Vollidioten
Bei Entscheidungsschwierigkeiten würde ich vorschlagen, c) zu nehmen. Damit ist man auf der sicheren Seite.

Wie übrigens auch mit einer Impfung.

 

Ursachen für Pegida

So ca. 1992 war das, da habe ich ein Jahr lang für das Kleist-Theater in Frankfurt/Oder gearbeitet und im Auftrag der Intendantin, Frau Preuß, zwei Stücke für das Haus geschrieben. Während dieser Zeit spielte das Theater ein Paar GRIPS-Stücke, die – wen wundert’s? – wie die Feuerwehr liefen und von vielen Schulklassen über Wochen im Voraus ausgebucht waren. Bloß ein GRIPS-Stück wurde meist vor lediglich halb vollen Rängen gespielt, in „Ein Fest für Papadakis“ kam keine einzige Schulklasse. Die Dramaturgie fragte bei mehreren Lehrern nach, warum das Stück nicht gebucht würde. Die Antwort war bei allen die gleiche: „Dann müssten wir ja die Ausländerrfeindlichkeit thematisieren. Nein, das tun wir uns hier nicht an.“

Die Schüler dieser Lehrer gehen jetzt montäglich auf die Straße.