Rory! Rory!

Das waren einmalige Abende, wenn er Gitarre spielte. Das lag nicht nur an der einzigartigen Musikalität und Virtuosität, mit der er sich in den Bluesrock reinhängte, das lag zuallerersteinmal an seiner unglaublich warmherzigen Persönlichkeit, die bis in die letzten Reihe der größten Halle, des riesigsten Stadions strahlte.
Ich erinnere mich an ein ganz entsetzliches Open-Air-Festival in Göppingen, 1977 oder 78 war das, mehrtägiger Dauerregen hatte den Veranstaltungsort in eine Schlammwüste veranstaltet, die Stimmung im Publikum war unglaublich mies, und als Pseudo-Macho Ted Nugent (der Mann, der noch schneller und hirnloser Gitarre spielen konnte als Alvin Lee) nach gerade mal zwei hoffnungslos übersteuerten Titeln bei den ersten Donnerschlägen eines noch meilenweit entfernten Gewitters panikartig die Bühne verließ, lag Krawall in der Luft. Zwei Tage Dauerregen, Schlamm, lauwarmes Dinkelacker-Bier… wann randalieren, wenn nicht jetzt?
Und dann kam er auf die Bühne, die uralte, verranzte Stratocaster umgehängt, die Arme weit ausgebreitet und dieses warme, strahlende Lächeln im Gesicht… „Rory! Rory!“ brüllten wir alle, und ich schwöre bei Gott, nach den ersten paar Takten von „Too much Alcohol“ hörte es auf zu regnen und die Sonne brach durch die bleierne Wolkendecke.
Zu einem Rory-Gallagher-Konzert bist du nicht gegangen, um einem Superstar zuzusehen und hinterher zu sagen, ob er heute in Form war oder nicht. Wenn Rory in die Stadt kam, dann kam ein guter Kumpel zu Besuch, der fantastisch Gitarre spielen konnte. Und einen guten kumpel konnte man doch nicht im Stich lassen, oder?
Und wie er spielte. Wenn er die Ärmel des karierten Flanellhemds aufkrempelte, und die Gitarre nicht nur mit seinem ganzen Körper, sondern mit seiner Seele zum Singen brachte… Das waren Sternstunden, wenn er improvisierte. Laundromat. Sinner Boy. Bullfrog Blues. Ach.
Und ist es nicht paradox, dass wir Stunden um Stunden einem der größten Gitarrenvirtuosen aller Zeiten zuhörten und nur auf den Moment warteten, wo er mit diesem Lächeln, diesem unglaublich warmen Lächeln, die Stratocaster ablegte, um sich seine Mandoline reichen zu lassen? Dann haben wir „Rory! Rory!“ geschrieen, weil wir wussten, jetzt kommt „Going to my Hometown.
Und noch Stunden nach dem Konzert sind wir besoffen von Musik durch die Straßen gelaufen und haben „Rory! Rory!“ gebrüllt. Das geht nun nicht mehr. Vor zwölf Jahren ist er gestorben, mit 47. Ach. Er fehlt.
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12 Gedanken zu „Rory! Rory!

  1. Wir hockten damals bei Elmar Schneider im Zimmer. Er hatte den einfachsten Mono-Plattenspieler, den es seinerzeit gab, und wenn „Too much alcohol“ abgespielt war, legte er den Plattenspielerarm wieder auf den Anfang. Und Elmar saß am Klavier oder versuchte ihm auf der Gitarre nachzueifern. Wir trugen Baumwollhemden und Flicken auf den Jeans. Und später hörten wir noch Crosby Stills Nash & Young: „Four way streets.“ Arlo Guthrie und Golden Earing „Radar Love“.

  2. Insbesondere über Crosby, Stills, Nash & Young und da insbesondere über David Crosby & Graham Nash, denen ich zwei der grandiosesten Konzerterlebnisse meines Lebens verdanke und ganz besonders über David Crosby, der mir immer noch einen Schauer nach dem anderen herunterjagt, wenn er „Almost cut my hair“ singt, wird hier demnächst noch zu schreiben sein.

  3. „Almost cut my hair“, mein Gott, was für ein phantastischer Song. Im Repeat-Modus läuft jetzt Crosby, Stills & Nash, „Guinnevere“, „Wooden Ships“ und „Long Time Gone“, bis die Nachbarn klingeln.

  4. Vor zwei Jahren waren David Crosby und Graham Nash hier in Berlin, in der Arena, da hat Crosby es gesungen. Wie er die Textzeile „letting my freak flag fly“ rausbeltet… das entzieht sich jeder Beschreibung. Wer da keine Gänsehaut bekommt…

  5. Live aus der Grugahalle Essen vom 23. Juli 1977 berichtet Achim. Gerade ist Rory Gallagher von der Bühne gegangen. Eigentlich hätte ich Dich, Chris, gleich anrufen sollen. Aber es ist 1977 und Handys sind so gut wie unbekannt. Außerdem tobt der Bär und höchstwahrscheinlich würdest Du mich garnicht verstehen.

    Hier die Abfolge der Songs:

    Calling Card
    Western plain
    Barley and Grape Rag
    Tattoo D Lady
    Souped-up Ford
    Bullfrog Blues
    Bought and sold

    Am Dienstag brachte Arte einen Konzertausschnitt von Jimi Hendrix. Ehrlich gesagt, mochte ich Hendrix nicht sonderlich. Extrem viel Krach. Wie er seine Gitarre dann auf der Bühne zerschlagen und anschließend unsinngerweise noch verbrannt hat, konnte ich damals nicht anders, der von zuhause keine Gitarre erwarten konnte, als Hendrix für bescheeuert zu erklären.

    Gerade spielt jemand auf die Bottle-neck Guitar „Fool for a cigarette“.

    So, Chris, ich stürze mich wieder ins Getümmel. Hasr Du übrigens was von Leo Kottke: „Pamela Brown“, „Steam Machine“. WEißt Du was über Leo Kottke?

    Gruß
    Achim

  6. Wat denn, ein Gallagher-Konzert ohne „Going to my Hometown“? Ungewöhnlich. Dann war keine Stimmung.:)
    Hendrix: Der Woodstockauftritt lässt mich auch merkwürdig kalt, und viele der Live-Platten empfinde ich bei aller Virtuosität als etwas kalt, seelenlos, kann aber an meiner Befindlichkeit liegen. „Are you experienced?“ udn „Electric Ladyland“ hör ich heute noch gelegentlich.
    Kottke? Hm. Ja, wenn man in den 70ern picken wollte, kam man an Kottke nicht vorbei. Hat der nicht später von Picks auf Nägel oder Kuppen umgestellt?

  7. Hab ich wohl gesehen, dass ich gestern Nacht zum Schgluß noch einige Tippfehler hinterlassen habe. Wie gesagt, gestern war WDR-Rockpalast Nacht, und 77 trat Rory Gallagher in der Grugahalle in Essen auf. Bei dem Geschubse und Gedröhne, kein Wunder, daß ich ins Wanken geraten bin.

    Überhaupt ist gerade wieder die Zeit der 70er angesagt, Flower Power, Hippiebewegung, kommenden Dienstag im Arte „Hair“. Ist jetzt auch nicht so mein Ding, aber das nur nebenbei.

    Kottke war mein Gitarrengott. Ich muß das so sagen. Er hat sich gesundheitlich ziemlich ruiniert durch sein Spielen, unaufhörlich rauf und runter die Saiten: Sehnenscheidenentzündung, Nervenschäden. Er war ja sehr fix. Dann hat er seine Technik wohl umgestellt, mehr Fingerkuppenspiel. Ich mag auch seinen Gesang, z.B. das Stück „Louise“, ich mag es.

    Chris, ich bringe jetzt noch einen Mann ins Spiel, auch so ein Derwisch, und zwar Frank Zappa. Tadel mich, wenn ich Deine wirklich notwendige Erinnerung an Rory hier ausnutze und auf einige Leute hinweise, von denen jeder einzelne eine eigene Würdigung verdient hätte, und wenn ich das Album „Roxy and Elsewhere“ von Zappa erwähne, dann, weil es Klasse ist.

  8. der bericht über das konzert ist super geschrieben er bringt genau das feeling zum ausdruck welches man damals hatte. auch die antworten zu csny sprechen mir aus der seele. beste konzerte in meinem leben: csny 2005 in bonn absolut genial auch wenn stephen stills offensichtlich mühe hatte aus der bühne zu stehen.also es lebe die 68er zeit und rocknroll for ever peace und grüße

  9. ach ja das wichtigste habe ich noch vergessen, kottke ist mein absoluter gitarrenhero, nachdem ich 20 jahre gitarrenmäßig pause gemacht hatte spiele ich seit ca 3 jahren wieder gitarre und zwar ca. 30 stücke von kottke. es ist übrigens richtig daß er probleme mit der hand hatte und seitdem spielt er nicht mehr mit fingerpicks, außerdem hat er ca 10 jahre keine 12 saitige gitarre mehr gespielt bis ihm taylor eine entsprechende 12 saitige gitarre gebaut hat. das modell steht neben mir. long live leo kottke

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