Bull Shot

Berthold Beitz habe ich nicht gekannt. Aber ich habe als junger Mann etliche Male mit ihm am gleichen Bar-Tresen gesessen oder gestanden. Das war anfangs der 70er Jahre, als unsere Familienurlaube uns nach Sylt führten und ich meine Mutter abends nach Kampen begleitete, wo sie bei Karlchen ihren Stammplatz hatte und ihren „Old Fashioned“ zu trinken pflegte.

Karlchen in Kampen war damals die beste Bar Deutschlands, betrieben von Karl Rosenzweig, dem vermutlich besten Barkeeper der Welt und einem der weisesten, freundlichsten Menschen, die ich je kennenlernen dürfte. Hier trafen sich einige berühmte und viele nicht berühmte Menschen, tranken Karlchens sensationelle Cocktails und genossen die entspannte, heitere Atmosphäre, die nur Karlchen verbreiten konnte. Herrgott, Karlchen ist vor bald dreißig Jahren gestorben, aber sein einmaliges keckerndes Lachen hab ich immer noch im Ohr. Was für ein genialer Ort war diese Bar!

In dem Sommer, von dem ich erzählen möchte, war „Bull Shot“ eins der angesagten Getränke bei Karlchen, also geeiste Rinderconsommé mit Wodka und einigen Gewürzen. Eines Abends erkundigte sich einer der Gäste, woher denn die Consommé für die Bull Shots  käme, und Karlchen erklärte nicht ohne Stolz, dass die selbstverständlich in seiner eigenen Küche zubereitet wurde (man konnte bei Karlchen auch ausgezeichnet essen). Hier hatte Herr Beitz Einwände, ein echter Bull Shot durfte nach seiner Ansicht nur mit „Campbell’s Beef Broth“ zubereitet werden. Wunderbarer Einwand, denn sofort begann der ganze Tresen diskussionsmäßig zu brummen, jeder hatte eine Meinung pro oder contra Campbell bzw. Karlchens „Own“, jeder hatte eine Bull Shot-Geschichte, und natürlich wurden jede Menge Bull Shots getrunken. Am Ende eines langen, schönen Abends meinte Karlchen, dass die Diskussion doch eher akademisch wäre, denn in Deutschland könne man keine Bull Shots mit Campbell’s Beef Broth machen. Die gäbe es hier schlicht und einfach nicht, die bekäme man nur in den USA.

Am nächsten Abend kam Berthold Beitz wieder zu Karlchen. Und hatte einen Karton Campbell’s Beef Broth dabei, den er gerade am Westerländer Flughafen abgeholt hatte, wo der Krupp’sche Firmenjet gelandet war. Selbstverständlich bin ich mir hundertprozentig sicher, dass das ein Zufall war, dass der Krupp’sche Firmenjet an diesem Tag nach New York und Westerland musste, bestimmt waren wichtige Papiere in den USA abzuholen gewesen, und die mussten sofort zu Herrn Beitz gebracht werden, und da traf es sich glücklich, dass der Jet auch noch die Campbell’s-Suppe mitbringen konnte. Ein verantwortungsvoller Unternehmer wie Herr Beitz hätte niemals den Firmenjet nach New York und zurück geschickt, nur um einen Karton Suppe zu holen.

Wenn man das jungenhafte Piraten-Grinsen gesehen hat, mit dem Herr Beitz den Suppenkarton auf Karlchens Tresen gewuchtet hatte, konnte man allerdings zu einer anderen Ansicht kommen. Wie dem auch sei, die Suppendosen wurden im Eisfach schockgefrostet und waren nach ein, zwei Stunden kalt genug für den großen Bull Shot Vergleichstest: Campbell’s vs. Karlchens Köche. Und… Karlchens Köche gewannen. Beinahe einstimmig, sogar Herrn Beitz schmeckte der Bull Shot mit der selbstgemachten Brühe besser. Machte aber nichts. War mal wieder ein toller Abend. Damals. Bei Karlchen.

 

7 Gedanken zu „Bull Shot

  1. @kiezneurotiker: Die Kategorie gibt’s schon lange. Hieß bis vor kurzem „Um die fuffzich“, jetzt heißt sie „Auf die sechzich zu“.
    Und mit „Opa“ kann man mich nicht mehr treffen, seit ich bei Kaisers mal die Treuepunkte verweigert hab, weil’s dafür nur Lego gab, und die Kassiererin meinte: „Können Sie doch den Enkeln schenken…“

  2. Doch, den sollte eigentlich jeder Barkeeper im Repertoire haben. Das mit der Consommé dürfte aber immer noch eine Problematik sein, Campbell’s Beef Broth gibt’s nach wie vor nur auf dem mehr oder weniger komplizierten Import-Weg.:)

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