Vor ein paar Tagen, am 8. März waren wir in Paris und gingen bei bestem Wetter die Seine entlang spazieren. Als ich Notre Dame so vor mir liegen sah, griff ich zum Smartphone, um ein Foto zu machen. „Lass doch den Quatsch!“, dachte ich dann, „Notre Dame hast du schon so oft fotografiert.“ Ich hab das Foto dann doch gemacht und bin diesmal sehr froh, dass ich nicht auf mich gehört habe.
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Wie ich einmal ein Zitat fälschte
Ich habe vor langer Zeit, als es noch kein Internet gab, ein Musical („Rotes Koma“) geschrieben. Damals war Schreiben noch ein eher mühseliges Geschäft, denn für vieles, was man heutzutage sekundenschnell mit ein paar Klicks recherchieren oder nachschlagen kann, musste man seinerzeit eine Bibliothek aufsuchen. Das machte ich damals einmal in der Woche, um dort meine angesammelten Rechercheaufgaben abzuarbeiten. Klappte ganz gut. Bis auf ein Mal…
Ich brauchte in dem Musical, in dem ein Sleeping Prince aus dem Jahr 1968 in einem West-Berliner Off-Theater aufwachte, um eine neue Revolte anzuzetteln 1 ein Lenin-Zitat, das in eine bestimmte Richtung wies. Meine persönliche Handbibliothek war in Sachen Lenin ein bisschen dünn bestückt, also schrieb ich die vorläufige Dialogzeile „Wie Lenin schon sagte: ‚Den richtige Mann an den richtigen Ort!'“ ins Libretto und machte mir eine Notiz, in der Bibliothek nach einem passenden echten Lenin-Zitat zu suchen. Leider hatte ich mir die Notiz wohl nur geistig gemacht, denn auf der ersten Leseprobe riss es mich beinahe vom Stuhl, als ich „Den richtigen Mann an den richtigen Ort!“ hörte. Um Himmelswillen, das Platzhalter-Zitat stand immer noch im Libretto. Ich musste sofort… oder wenigstens zeitnah… ganz, ganz bald… in die Bibliothek…
Anders als viele Menschen denken, hat der Autor während der Proben einer Musical-Uraufführung noch jede Menge zu tun, obwohl er das Stück schon Monate vorher scheinbar fertig gestellt hat. Musical ist Team-Arbeit, da arbeiten Regie, Choreographie, Komponist und Autor zusammen, bis das Stück „passt“. „Ich brauche hier noch einen Dialog während der ersten 8 Takte des Intros.“ – „Hier muss noch ein Mittelteil hin, so 4 Zeilen, möglichst ABAB, kannst du das mal schnell machen?“ – „Die Pointe geht im Musikeinsatz unter. Können wir was machen wie Pointe-Lacher-Überleitung?“ – „Der Gag ist schön,. funktioniert aber nicht. Ich mach einen neuen…“ Man schreibt während der Proben beinahe mehr als am Schreibtisch2 Wie dem auch sei, ich vergaß das Lenin-Zitat, bis ich es auf der 1. Hauptprobe wieder hörte: „Den richtigen Mann an den richtigen Ort!“
Mist. Immer wieder vergessen. Jetzt noch den Text des Schauspielers ändern und eventuell sein Nervenkostüm ruinieren? Keine Option! Außerdem hatte der Satz einen so schönen Rhythmus… Den würde ein korrektes Zitat vermutlich kaputt machen… Ach, was soll’s. Das Ding bleibt drin. Vielleicht merkt’s ja keiner.
Es merkte tatsächlich keiner, obwohl das Stück mehrfach nachgespielt wurde. Im Gegenteil, in zwei Kritiken wurde ich ausdrücklich für meine intimen Lenin-Kenntnisse gelobt, weil ich eben nicht auf das sattsam bekannte „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“- das in dieser Forum übrigens auch nicht von Lenin ist – ausgewichen war. Ich schämte mich ein bisschen.
Ursache und Wirkung
Vor gut 25 Jahren schrieb ich zwei Theaterstücke für das Kleist-Theater in Frankfurt/Oder. Während ich an den Stücken arbeitete, war ich oft dort und sah mir natürlich fast alle Stücke im Repertoire an. Wie damals viele Theater in den neuen Ländern spielte auch das Kleist-Theater viele Stücke vom Grips-Theater nach. Die kannte da noch keiner, das waren Super-Stücke, der Erfolg beim Publikum war praktisch vorprogrammiert. Auch am Kleist-Thetaer war der Saal immer bruchvoll, wenn was vom Grips gespielt wurde.
Nur bei „Ein Fest für Papadakis“ nicht, einem Stück, dass sich explizit gegen Ausländerfeindlichkeit richtet. Da war der Saal lotterleer. Ich fragte in der Dramaturgie nach, da sagte man mir, dass die Schulen „das einfach nicht buchen“ würden.
Ich sprach daraufhin ein paar der Lehrer an, die mit ihren Klassen zu den anderen Grips-Stücken ins Theater kamen, und fragte sie, warum sie „Papadakis“ nicht buchten. Die Antwort war immer gleich: „Ach, DAS Stück. Da müssten wir im Unterricht das mit den Ausländern thematisieren. Was meinen Sie, was wir dann von den Eltern zu hören bekommen…“
Die Kinder, die damals „Ein Fest für Papadakis“ nicht zu sehen bekamen, sind heute ca. 40 Jahre alt. Genauso alt wie die Nazis, die derzeit in Chemnitz randalieren.
Die offizielle Zahl
Nicht erst seit dem letzten Wochenende, als die AfD und ihre Gegner in Berlin demonstrieren, spekuliert man gern über die tatsächliche Teilnehmerzahl bei Demonstrationen, auch bei der Tagesschau wurde das heute thematisiert.
Ich kann dazu eine kleine Geschichte beitragen. Vor ungefähr 45 Jahren (ja, ist lange her) arbeitete ich in einer Initiative mit, die für ein Jugendzentrum in meiner Heimatstadt kämpfte. Es war uns gelungen, eine öffentliche Demonstration durch die Eschweger Innenstadt zu organisieren1, und wenige Tage vor der Demo warnte mich ein ehemaliger Mitschüler, der ein paar Jahre zuvor eine Demonstration gegen die Notstandsgesetze organisiert hatte: „Pass auf, was die in der Zeitung über die Teilnehmerzahl schreiben, bei uns haben die damals nur die Hälfte angegeben.“
Ich beherzigte den Ratschlag, stellte mich bei der Abschlusskundgebung neben den Redakteur der Werra-Rundschau und zählte mit ihm die Anwesenden durch. Wir waren uns einig, das bei der Schlusskundgebung über 800 Leute anwesend waren und ca. 650 Menschen demonstriert hatten.
Zwei Tage später las ich dann in der Zeitung, dass „ungefähr 350 Jugendliche“ demonstriert hatten. Ich staunte nicht schlecht, und rief den Redakteur an, mit dem ich die Demonstrierenden ja GEZÄHLT hatte. Der meinte ungerührt, dass die Zahl „350“ von der Polizei gekommen sei, und wenn’s von der Polizei kommt, dann sei das eben die „offizielle“ Zahl.
- War gar nicht so einfach, damals. Demos galten damals automatisch als von der „sogenannten DDR“ ferngesteuerter Umsturzversuch. ↩
Der beste Ritter aller Zeiten
„Geht doch endlich zum Friseur!“ – „Lange Haare, kurzer Verstand!“ – „Das sind doch Gammler, sonst nichts!“ – „Nur Krach, das ist nur Krach, keine Musik!“ – „Haare schneiden und was anständiges lernen, das wollense nicht!“
Nehmt das, ihr Arschgeigen:
It’s all true!
Heute früh hab ich erfahren, dass Joe Esposito gestorben ist, ehemaliger Road Manager von Elvis Presley und – nach Elvis‘ Tod – weltweit führender Elvis-Experte. Ich hatte das große Vergnügen, ihn kennenlernen zu dürfen.
Mr. Esposito war als Ehrengast zur Premiere eines Musicals („Elvis in Bremerhaven“) eingeladen, für das ich die Dialoge geschrieben hatte. Da Elvis in Bremerhaven absolut nichts gemacht hatte (er war 1958 als Rekrut lediglich vom Schiff zum Bahnhof gefahren worden), hatte das Musical eine erfundene Quatschhandlung mit Liebesgeschichte, Rummelplatzbesuch und anderen an den Haaren herbei gezogenen Aufhängern für Elvis-Songs. Nachdem Mr. Esposito sich die Generalprobe angesehen hatte, stürmte er hinter die Bühne und rief „Who is the writer?“ Alle deuteten auf mich, woraufhin er mir um den Hals fiel und „It’s all true! All true! It’s exactly as the King himself told me!“ brüllte. Dann ließ er von mir ab, grinste wie ein Honigkuchenpferd und sagte: „Now you owe me something.“
Meine Mutter, Brot essend
Wer das Privileg hat, älter werden zu dürfen, kennt das: Da sind ein paar Bilder hängen geblieben, aus den verschiedensten Abschnitten des eigenen Lebens.
Auf einem der frühesten Bilder, an die ich mich erinnern kann, sitzt meine Mutter in der Küche. Sie hat ihre Schürze umgebunden und isst einen Kanten Brot. Nicht den appetitlich-knusprigen Kanten eines frischen Brots, sondern den trockenen, steinharten Kanten eines mehre Tage alten Brotlaibs, den alle anderen Familienmitglieder verschmäht hatten. Meine Mutter, die meine Geschwister durch den 2. Weltkrieg und die Hungerjahre der Nachkriegszeit hatte bringen müssen, war unfähig, Lebensmittel wegzuwerfen. Und Brot schon gar nicht, auch wenn es ein steinharter Kanten war. Also aß sie ihn zum zweiten Frühstück, dünn mit Butter bestrichen. Um das harte Brot abbeißen zu können, schnitt sie das Brot immer wieder ein Stück mit ihrem Küchenmesser, dem “Kliffchen“, ein, so dass sie es mit große Mühe doch noch abbeißen konnte. Sie kaute jeden Bissen lange, um ihn überhaupt herunter schlucken zu können. Gelegentlich feuchtete sie dabei Brot und Kehle mit ein wenig Kaffee an. So ein Brotkanten-Frühstück dauerte recht lange, mindestens zwanzig Minuten. In kürzerer Zeit war dem harten Brot nicht beizukommen.
Ungerechtes Postscriptum: Viele Jahre später sah ich die große Schauspielerin Therese Giehse in der Berliner Schaubühne. Sie spielte die Hauptrolle in “Die Mutter“, einem Stück von Brecht nach einem Gorki-Roman. In einer Szene aß sie auf der Bühne mit großer Inbrunst, Hingabe und Sorgfalt einen Teller Suppe. Insbesondere dafür war sie von der Theaterkritik sehr gelobt worden. Ich hatte den Vergleich zu meiner Brot essenden Mutter. Für mich war’s – bei aller Bewunderung für Frau Giehses Können – eine Zirkusnummer..
Podersdorf 2016
Es war mal wieder ganz bonfortionös am Neusiedlersee. Wir haben alte und neue Wege gefunden…
…ich war des öfteren mit dem Fahrrad unterwegs…
… um mir anschließend oder unterwegs das ein oder andere Speckbrot zu gönnen…
… wie zum Beispiel dieses wohlgeratene Exemplar in der Elisabethschenke. Die Brettljause in Jupps Bierstüberl (alles mögliche vom Mangalitza-Schwein inkl. Brot, Schmalz und Schnaps) ist die logische Fortsetzung des Speckbrots, und ein Abendessen, auf das ich mich das ganze Jahr lang freue.
Natürlich haben wir auch wieder in meinem Lieblingsrestaurant gegessen, dem Gasthaus zur Dankbarkeit. Köstlicher Zitronenbiskuit!
Die beste, geduldigste Gemahlin von allen schoss wieder ein Foto nach dem anderen…
… unter anderem auch eins von einem Baum, unter erschwerten Bedingungen..
Der Wein war fast immer schön kalt, der Himmel meistens blau…
… und wie immer wurden an den ungewöhnlichsten Orten ungewöhnliche Fragen aufgeworfen.
Es war sehr, sehr schön. Nächster Jahr wieder.
Die Revolte hat begonnen
New Yorker Eindrücke
New York hat sich verändert. Die Exzentriker versuchen, sich zusammenzureißen. Gottseidank scheitern viele.
Gegen amerikanische Kochsendungen können Lafer und Co. noch nicht einmal entfernt anstinken.
Ganz ausgezeichnete Moules Frites im belgischen Restaurant „Petite Abeille„.
Die Gesundheitsbesessenheit der Amerikaner wird nur noch von ihrem Glauben an die Chemie übertroffen. Gefühlt jeder 2. Werbespot im Fernsehen bewirbt irgendein Wunder-Medikament. Offenbar sind die Pharma-Firmen mittlerweile gezwungen, in den Werbespots auf Risiken und Nebenwirkungen hinzuweisen. Diese Hinweise dauern meistens deutlich länger als der eigentliche Spot. Wir haben also dreißig Sekunden Werbung und dann 45 Sekunde Bilder von glücklich vor der Kamera herumturnenden Menschen, während eine sonore Stimme vor Kopfschmerzen, Depressionen und Malaria-Schüben warnt, die dieses Medikament auslösen kann.
Wenn man durch die 42. Straße geht oder fährt wird, einem beim Anblick der Theaterreklamen schlagartig klar, wie blutleer und verschnarcht fast alle in selbstverliebter Langeweile erstarrten deutschen Bühnen sind. Ein Beispiel: Kurz bevor ich ankam, spielte Lin-Manuel Miranda, Autor und Hauptdarsteller des Musicals „Hamilton“ seine letzte Vorstellung. Tickets für dieses Ereignis gingen bei ebay für fünf- bis zehntausend Dollar weg. Hierzulande besucht man die Derniere eines Schauspieler allenfalls wenn’s Steuerkarten gibt.
(Unausweichlicher) Lesefehler des Aufenthalts: „Hilary Coup“ statt „Military Coup“.
Bizarre Unterhaltungsangebote: Glückwunschkarten-Anbieter Hallmark betreibt einen eigenen TV-Kanal, auf dem derzeit ausschließlich Whodunits mit weiblichen Hobby-Detektiven („Spying Spinsters“) und Weihnachtsfilme laufen.
Am Counter einer Pharmacy. Die Verkäuferin reicht einer Kundin zwei kleine Tablettenschachteln. „That’s 204,31$“ – „200 Dollar? What’s insurance good for?“ – „It’s deductible.“
Trotz Veränderungen: New York ist immer noch die schnellste, aufregendste und spannendste Stadt der Welt.