Chris Barber grüßt Eschwege

1971 war’s, als in meiner Heimatstadt Eschwege die Stadthalle fertig gebaut worden war, ein damals ultramoderner Mehrzweckbau mit Hotel, Restaurant und riesengroßem (800 Plätze!) Veranstaltungssaal von allerdings schon damals durchaus gewöhnungsbedürftiger Optik. Eine verblüffend hoch angesetzte Fensterfront, die nur zur Hälfte von äußerst farbenfrohen… Gardinen in futuristischem 70er-Jahre Design verdeckt wurde, sorgte für reichlich Gesprächsstoff in der Perle der Hessischen Schweiz.
Nichtsdestoweniger, der Kulturbund musste seine Veranstaltungen nun endlich nicht mehr in der Turnhalle der Struthschule durchziehen, sondern hatte ein eigenes, luxuriöses Domizil. Wenn auch mit diesen… Gardinen. Das war aber egal, denn die Veranstaltungen waren ja abends. Da war’s dunkel, und da sah man die… Gardinen nicht. Wie dem auch sei, jetzt konnte der Kulturbund mehr Veranstaltungen pro Jahr organisieren, und endlich, endlich etwas für die Eschweger Jugend tun. Und deshalb gab es gleich nach der feierlichen Eröffnung ein Konzert mit einer richtigen Band, mit der Chris Barber Jazz and Blues Band. Äh, ja, doch. Chris Barber. Der war damals schon über 40, und er spielte Cordhosen-Jazz. Möglicherweise lag der Eschweger Kulturbund seinerzeit ein klitzekleines bißchen daneben, was den Zeitgeist anbelangte, aber das war der Jugend letztlich egal. Die Musik war laut, und sie kam weder von einem Schulorchester noch von einem Spielmannszug, also war die Stadthalle pickepackevoll, und alle waren sich einig, dass die… Gardinen in der festlichen Dunkelheit praktisch gar nicht zu sehen waren und somit auch nicht störten. Die Band begann pünktlich, und auch wenn es Cordhosen-Jazz war, es war wenigstens fetziger Cordhosen-Jazz. Die Band spielte 3 starke Nummern am Stück, und dann trat Chris Barber persönlich ans Mikrofon, um uns zu begrüßen. Uns stockte der Atem. Chris Barber spricht zu uns! Was würde er sagen? Etwas persönliches? Oder würde er nur einen auswendig gelernten, xmal runtergenudelten Begrüßungstext runterleiern? Barber, ganz routinierter Profi, lächelte gut gelaunt ins Publikum, ließ seinen Blick über die hypermoderne Stadthallenarchitektur schweifen, bekam große Augen und sagte: „Ooooh… lovely shutouts you’ve got.“

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