Wenn sich Kommunisten in die Suppe spucken – Noch eine Geschichte von der Münchner Mensa

Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war’s, da wurden in München die Mensapreise erhöht. Stammessen 1 von 1,30 DM auf 1,70 DM und Stammessen 2 von 1,90 auf 2,30 DM oder so. Ganz genau weiß ich’s nicht mehr. Zum Vergleich: ein halber Liter Bier war damals im Atzinger für ca. 2 DM zu haben. Eine derart happige Preiserhöhung und die dadurch logischerweise ausgelöste allgemeine studentische Unzufriedenheit riefen in den seligen siebziger Jahren unfehlbar wen auf den Plan? Richtig, die kommunistischen Splitterorganisationen.
Den Anfang machte der Marxistische Studentenbund Spartakus (DKP-nah und prinzipientreu), der vor der Mensa in der Leopoldstraße eine Gulaschkanone aufbaute und – als Akt höchster internationaler Solidariät – Erbsensuppe zum alten Stammessen-1-Preis an die darbende Studentenschaft verhökerte. Die Erbsensuppe war ein ziemlicher Erfolg, der sich allerdings nicht auf den pfiffig daneben platzierten Büchertisch mit wie absichtslos daliegenden Aufnahmeanträgen für den MSB übertrug.
Erbsensuppe
Diese Aktion der Spartakisten rief natürlich die KPD/ML (Kommunistische Partei Deutschlands, Marxisten-Leninisten, stalinistische Maoisten, noch humorloser als der MSB) auf den Plan. Mitglieder der KPD/ML waren damals leicht zu erkennen. Sie trugen ausnahmslos ausgebeulte graue Hosen, kleinkarierte Hemden und abgewetzte braune Cord-Sakkos. Noch der ärmste Münchner Proletarier war eleganter gekleidet als ein Mitglied der KPD/ML. Die Cord-Sakkos bauten sich gegenüber des Spartakus-Büchertischs auf, verteilten Flugblätter und nahmen ein Megafon in Betrieb. Der ML-Chefagitator eröffnete mit: „Jeder, der die Erbsensuppe des MSB Spartakus ißt, ist ein Renegat, ein Verräter an der Sache der Arbeiterklasse, der den revolutionären Kampf um Jahre zurückwirft!“
„Wir brauchen auch ein Megafon!“ erkannten die Spartakisten mit revolutionärer Klarheit. Hastig wurden Telefongroschen organisiert, um in der Zentrale (Jede kommunistische Organisation, die etwas auf sich hielt, hatte damals eine „Zentrale“.) anzurufen und ein Megafon zu bestellen, das tatsächlich nur eine Viertelstunde später in einem von der Arbeiterklasse finanzierten Taxi eintraf. Die spartakistische Gegenoffensive begann mit „Die Solidarität zwischen Arbeiterklasse, Studentenschaft und der Oktoberrevolution ist unverbrüchlich!“ Präzision in Sprache, Grammatik oder Semantik war nie die Sache des MSB Spartakus gewesen. Anschließend verlas man ein Grußwort von Leonid Breschnew.
Die Situation eskalierte. Die Megafone wurden immer weiter aufgedreht, die Agitatoren rückten immer näher aufeinander zu und brüllten sich schließlich beinahe Nase an Nase an. Nur die Megafone passten noch dazwischen.
Hammer und Sichel
Wer fehlte noch? Natürlich die Genossen von der KPD/AO (Aufbauorganisation), einer linksabweichlerischen Abspaltung von der KPD/ML, denen Mao nicht maoistisch genug war, und die immer hinter den Marxisten/Leninisten herliefen, um ihre Gegenposition zu untermauern. Sie trafen mit halbstündiger Verspätung ein und hatten auch ein Megafon mitgebracht, mit dem sie ihre Position (Klassengegensätze nicht mit Erbsensuppe zukleistern, Arbeiterklasse sofort bewaffnen, Albanien stärken) unmissverständlich klarstellten.
Der Beginn eines revolutionären Handgemenges schien unausweichlich, noch bevor die Genossen vom KSB (Kommunistischer Studentenbund) und vom KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) überhaupt rhetorisch eingreifen konnten. In letzter Sekunde konnte jedoch revolutionäres Blutvergießen durch das Eintreffen einer bajuwarischen Polizeistreife abgewendet werden. Umgehend solidarisierten sich sämtliche linken Flügel, richteten ihre machtvollen Megafone gegen die beiden übermächtigen Repräsentanten des Imperialismus und begannen, die Arbeiterklasse gegen die Polizeistaats-Methoden der Büttel des Monopolkapitals zu verteidigen.
Der weitere Verlauf der Veranstaltung war im Sinne der Weltrevolution durchaus enttäuschend. Die meisten Studenten hatten sich längst desinteressiert in die Mensa verzogen, sodass die ganze Brüllerei mangels Masse nicht einmal als unangemeldete Demonstration durchgehen konnte. Auch zeigten die Polizisten keinerlei Bereitschaft, die kommunistische Avantgarde menschenrechtsverletzend niederzuknüppeln, sondern baten lediglich die Barrikadenkämpfer ganz freundlich, die Megafone auszuschalten. Man habe eine Beschwerde wegen Lärmbelästigung erhalten.
Bevor die Funkstreife kopfschüttelnd wieder abzog, taten die braven bayrischen Beamten noch ihre Pflicht und erkundigten sich bei den Erbsensuppenverkäufern des MSB Spartakus, ob sie denn den dafür erforderlichen Gewerbeschein vorweisen konnten. Natürlich konnten die zu allem entschlossenen Revolutionäre das. Er steckte in einer Klarsichthülle.

Erinnert dank des Mittagessers.
Erbsensuppenfoto von FirstMichael
Hammer und Sichel von CountZero, Photocase

4 Gedanken zu „Wenn sich Kommunisten in die Suppe spucken – Noch eine Geschichte von der Münchner Mensa

  1. Interessantes Video. Ich ertappe mich dabei, wie ich immer öfter diese Welt durch die Augen von Mr. Spock betrachte: „Junge Menschen feiern sich selbst, weil sie Fett und Proteine einkaufen? Faszinierend!“

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