Autofocus

Wenn ich den Zeitungen glauben kann, dann ist das Geheimnis der meisten olympischen Medaillengewinner gelüftet:: sie sind bis zu den Ohren zugedopt können besonders gut fokussieren. Womit nicht gemeint ist, dass sie in der Lage sind, ein Kamera-Objektiv scharf einzustellen (damit wären die meisten wohl überfordert), nein, sie können sich einfach besonders gut auf ihren Sport konzentrieren, in dem sie alles andere ausblenden. Von Steroid-Bolide Michael Phelps zum Beispiel sagt man, dass er beim Wettkampf nur das Wasser sieht, sonst nichts. Er sieht also nichts als Wasser, und dann, ja, dann schwimmt er. Muss wahnsinnig aufregend sein. Wäre nix für mich.
Auf alle Fälle ist der Aufenthalt in Peking sicherlich wesentlich kommoder, wenn man in der Lage ist, das Schicksal von Menschen wie Herrn Ji Sizun auszublenden. Herr Ji Sizun hat nichts weiter getan, als den Worten der chinesischen Machthaber und der Herren vom IOC in Sachen Meinungsfreiheit zu vertrauen. Die beide versichert hatten, dass es möglich wäre, während der Spiele in eigens dafür vorgesehenen „Protestzonen“ in Peking friedlich zu demonstrieren. Alles, was man tun musste, war, die geplante Demonstration anzumelden. Herr Ji Sizun glaubt an Recht und Gesetz, denn er ist Anwalt. Deshalb hat er in der ersten Woche der Spiele einen entsprechenden Antrag gestellt. Nachdem er dies getan hatte, konnte er gerade noch seine Angehörigen telefonisch von „Problemen“ benachrichtigen, dann verschwand er. Niemand hat seitdem etwas von Herrn Ji Sizun gehört.
Es wäre natürlich ein schöner Zug vom IOC, wenn es jetzt den Gastgeber mit gebotenem Nachdruck auf das Einhalten seiner Versprechen hinweisen würde. Was hindert diese feigen, geldgierigen Säcke eigentlich daran, den Despoten „Der Weitsprung findet erst statt, wenn Herr Ji Sizun wieder wohlbehalten aufgetaucht ist und unbehelligt demonstriert hat, wie es zugesichert war“ zu sagen? Ach so, das geht nicht, weil die TV-Sender ordentlich Geld hingelegt haben, damit der Weitsprung pünktlich stattfindet. Und die Sponsoren haben auch ordentliche Summen abgedrückt, die wollen keine „bad news“ im Zusammenhang mit den Spielen Hat Herr Ji Sizun eben die Arschkarte gezogen. Selber Schuld, dass er den Worten von IOC und chinesischer Regierung vertraut hat. Hätte doch wissen müssen, dass das gewissenlose Lügner sind, denen Herr Ji Sizun am Arsch vorbei geht.
Und deswegen interessiert es mich immer weniger, wenn irgendeine fokussierende Schwimmerin zur „Power-Frau“ hochgejubelt wird und Franzi „Ich bin so stolz auf sie!“ kreischt, wenn J. B. Kerner heldenhaft zwischen Peking und Nürnberg pendelt, weil wir ihn bei keinem Event verpassen dürfen und wie‘s allüberall so heftig menschelt, wenn‘s statt Gold nur Silber, Bronze oder garnix gibt.
Darauf fokussiert man gern. Auf Menschen wie Herrn Ji Sizun eher nicht. Ich hätte nie gedacht, dass Olympische Spiele mich einmal derart ankotzen würden.

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