Die Kirche im Dorf lassen, den Außenminister in die Welt schicken

So langsam platzt mir aber der Kragen ob dieser ganzen Provinzialität. Nein, nicht wegen Guido Westerwelles Weigerung, eine Frage eines BBC-Reporters auf englisch zu beantworten, sondern wegen der provinziellen Reaktionen darauf. Man beölt sich, man beömmelt sich, klatscht sich auf die Schenkel und ruft „So jemand will Außenminister werden! Unglaublich!“
Mir ist Guido Westerwelle nicht sonderlich sympathisch, trotzdem drei Anmerkungen zu diesen kreuzdämlichen „Vorwürfen“:

  1. Wenn ein deutscher Journalist in Paris, London oder Washington dem jeweiligen Außenminister bzw. der Außenministerin eine Frage auf deutsch gestellt und um Beantwortung in ebendieser Sprache gebeten hätte, hätte er bestenfalls ein irritiertes Kopfschütteln geerntet. Westerwelles Antwort empfinde ich noch als ziemlich höflich.
  2. Wenn jemand, der Außenminister werden möchte (er ist es ja noch nicht!), sich nicht in einer fremden Sprache äußern möchte, die er nicht sicher beherrscht, dann ist das vernünftig. Er will – ganz pragmatisch – Missverständnisse vermeiden.
  3. Was jetzt noch fehlt, ist eine Karikatur, in der Westerwelle aus einem Flugzeug steigt und sagt „Ich neues deutsches Außenminister. Nix sprechen englisch, nix sprechen französisch…“. Eine solche Karikatur ist vor 35 Jahren schon einmal erschienen. Im „stern“, wenn ich mich recht entsinne. Nur, dass damals nicht Westerwelle Außenminister wurde. Sondern Hans-Dietrich Genscher.

5 Gedanken zu „Die Kirche im Dorf lassen, den Außenminister in die Welt schicken

  1. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass in England jemand so unhöflich wäre, im umgekehrten Fall zu sagen: Wir sind hier in England, und hier wird Englisch gesprochen. Das wäre vermutlich als ziemlich schlechter Stil verpönt, auch wenn eine auf Deutsch geäußerte Frage sicher Befremden hervorrufen würde. Dass ich von einem deutschen Politiker, der sich auf internationales Parkett begeben möchte, sehr wohl erwarte, gut Englisch zu sprechen und zu verstehen, liegt daran, dass Englisch nun mal DIE internationale Sprache dieser Welt ist. Daran gibt es immer noch nicht so richtig was zu rütteln, das mag in ein paar Jahrhunderten anders sein. Ob Herr Westerwelle Italienisch, Französisch oder Urdu parlieren mag, ist mir völlig schnurz, da stelle ich keine Ansprüche. Aber ich lasse mich draußen lieber von einem deutschen Minister vertreten, der nicht in großem Ausmaß von Dolmetscher- und Übersetzerdiensten abhängig ist. Als großer obalisierungsgegner ist mir Guido Westerwelle nicht bekannt – dann soll er auch in der Lage sein, sich in der Sprache dieser globalisierten Welt zu verständigen.

    Und der Herr Genscher? Das ist eben schon ein Weilchen her.

  2. Ich kann mir ziemlich lebhaft vorstellen, wie die britische Boulevardpresse auf einen deutschen Journalisten reagieren würde, der den englischen Außenminister auf deutsch anspricht und um eine Antwort auf deutsch bittet: Ein tagelanges Schlagzeilenfest á la „kraut reporter thinks he has won the war“ wäre unvermeidlich.
    Man kann gegen Westerwelle und seine Ansichten so irrsinnig viel sagen… ihn darauf zu reduzieren, dass sein Englisch verbessert werden kann, finde ich einfach nur sehr, sehr arm.
    Und da dir Genscher zu lange her ist: Joschka Fischer musste so weit ich weiss auch erst mal den Sprachendienst des Auswärtigen Amtes (http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/AAmt/Dienste/Sprachendienst.html) bemühen, genauso wie diverse andere Minister.

  3. Die britische Boulevardpresse ist von Stilfragen natürlich ausgeschlossen ;-). Westerwelle wird nicht daruf reduziert, dass er kein Englisch kann. Es ist eher der Widerspruch zu seinem momentanen, sehr siegessicheren und triumphierenden Auftreten, dass die Häme herausfordert. Vielleicht liegt in dieser offenbaren Großkotzigkeit, die sich ja doch nur auf 15% von 70% beruft, der Unterschied zu den vorhergehenden, von Dir aufgezählten Beispielen.

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