Alles öffentlich

Eins vorweg: Ich mag Mobiltelefone. Die Dinger sind ungeheuer praktisch, ich benutze sie seit über zehn Jahren, und ich kann mich letztlich überhaupt nicht mehr erinnern, wie ich ohne sie zurechtgekommen bin. Was hat man früher eigentlich gemacht, wenn man an unbekanntem Ort verabredet war und sich verpasst hatte?
Okay, wo viel Licht ist, ist auch Schatten. Ich habe mich daran gewöhnt, dass meine Welt sich in eine riesengroße Telefonzelle verwandelt hat, und dass 90% aller Telefongespräche mittlerweile mit einer vollkommen überflüssigen Standortbestimmung („Ich bin gerade in der U-Bahn…“) beginnen. Ich ertrage kreuzdämliche Klingeltöne aller Art (Ich selber verwende Zimmermanns Torschrei zu Rahns 3:2) und quittiere die Tatsache, dass manchem Gegenüber sein klingelndes Handy wichtiger ist als die Konversation mit mir, mit einem Achselzucken.
Was jedoch gar nicht geht, ist ein Trend, den ich seit kurzem beobachte, nämlich dass die lieben Mitmenschen immer häufiger ihre privaten Katastrophen und Familiendramen am Handy austragen. In den letzten sieben Tagen wurde ich unfreiwillig Zeuge wie ein junger Mann binnen einer lautstarken Viertelstunde die langjährige Beziehung zu seiner Freundin wegen sexueller Inkompatibilität und mehrfachen Vertrauensbruchs auflöste, eine Tochter ihrer Mutter weinend eine Schwangerschaft (nebst ausführlicher Vor- und Nachbereitung) gestand, und eine treusorgende Ehefrau die tragische Krankheitsgeschichte ihres Mannes in allen medizinischen Details vor ihrer besten Freundin ausbreitete. Dies alles in Lautstärke von Stentor bis Gebrüll und unfehlbar in der Kulisse eines öffentlichen Verkehrsmittels.
Liebe Leute, ich will das alles nicht wissen. Ihr habt in meinem Privatleben nix verloren und ich nix in eurem. Die Trennung von privatem und öffentlichem Raum ist ein Kulturgut, eine Errungenschaft, die wir auf keinen Fall aufgeben sollten, nur weil wir noch so viel von unserem Minutenkontingent übrig haben. Dem oder der nächsten, die das versucht, zerdeppere ich das Handy. Versprochen. Danke für euer Verständnis.

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