Der Wortbruch – und die Gründe dafür

Die ganz große Abrechnung mit Kurt Beck sollte es werden, gestern, am Montag, auf der Präsidiums-Sitzung in Berlin. „Wir waren auf der Überholspur, und dann kam ein Lkw aus Mainz und hat alles plattgemacht.“, hatte Michael Naumann im Vorfeld geschimpft, und jedermann glaubte, dass Kurt Beck für seine abrupte Hinwendung zur „Linken“ gewaltig abgestraft werden würde. Doch es kam ganz anders: Solidarisch, ohne Widerworte und merkwürdig still schwenkten die SPD-Granden einmütig und durchaus kleinlaut auf den Kurs des SPD-Vorsitzenden um, der der Sitzung wg. einer angeblichen Grippe ferngeblieben war, aber einen Brief gesandt hatte, den Frank-Walter Steinmeier der Spitzengenossen vorlas.
Dieser Brief – eins der brisantesten Dokumente der deutschen Nachkriegsgeschichte – liegt mir vor und ich veröffentliche ihn nachfolgend im Wortlaut. Hier – weltexklusiv für treue Netzecken-Leser – sind die Hintergründe für Becks Wortbruch, seinen Kuschelkurs der „Linken“ gegenüber und das lastende, ja dröhnende Schweigen der anderen Genossen:

Liebe Genossen,
ich habe euch leider eine betrübliche Mitteilung zu machen. Am vorletzten Wochenende ist ein kleiner Ausflug nach Saarbrücken mit abendlichem Besuch des sozialdemokratischen Traditionslokals ‚Zum scharfen Eck‘ leider etwas außer Kontrolle geraten. Besonders, als nach 22 Uhr ein ehemaliger Vorsitzender der SPD (scheinbar?) zufällig im ’scharfen Eck‘ aufkreuzte, da gab ein Wort das andere, und manch würziger Tresterbrand war auch im Spiel… ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden, aber am Sonntag morgen ca. gegen 2 Uhr 30 hab ich beim Würfelspiel („Chicago scharf“) leider die sozialdemokratische Partei an Oskar Lafontaine verloren.
Bevor mir einer von euch Fahrlässigkeit vorwirft: Hätte Oskar verloren, hätte er umgehend ‚Die Linke‘ aufgelöst, und die Wahrscheinlichkeit, dass er drei Einser würfelt, lag bei 0,463 Prozent, das Risiko glaubte ich eingehen zu können, ja zu müssen.
Leider ist es anders gekommen, aber – und ich sage dass nicht, um euch zu beruhigen, liebe Genossen – es ist nicht ganz so schlimm, wie es sich anhört. Zwar gehört die Partei jetzt de facto Oskar Lafontaine, aber möglicherweise nur vorübergehend. Oskar hat sich als fairer Sportsmann erwiesen und mir Gelegenheit zur Revanche gegeben. Die wird in zwei Wochen stattfinden, und ich durfte mir sogar das Glücksspiel aussuchen, mit dem ich versuchen kann, die Sozialdemokratie zurückzugewinnen. Für diese Gelegenheit – und seine Bereitschaft, bis zur Revanche Stillschweigen über diese für mich sehr peinliche Angelegenheit zu wahren – möchte ich Oskar an dieser Stelle ausdrücklich danken.
Bis zum Rematch ist Oskar Lafontaine allerdings Eigentümer der SPD und damit natürlich hundertprozentig weisungsbefugt. Euch durfte jetzt klar sein, warum ich – für viele unverständlich – einen Linksruck der Partei und eine Zusammenarbeit mit der „Linken“ in Hessen betreiben musste. Jeder, der mich kennt, wird wissen, dass ich das niemals aus eigenem Antrieb getan hätte.
Jetzt müssen wir alles daran setzen, dass ich bei der anstehenden Revanche erfolgreicher bin und die SPD zurückgewinnen kann. Um Oskar auf unbekanntes Terrain zu locken, habe ich mich dafür entschieden, dass Rückspiel im Online-Poker auszutragen. Da ich in diesem Kartenspiel selbst nicht ganz firm bin, habe ich umgehend mit einem entsprechenden Training begonnen, dass ich auch für diese Präsidiumssitzung nicht unterbrechen möchte, deshalb wird euch der Genosse Steinmeier meine Worte vorlesen. Ich selbst habe mich unter dem Nick (das ist sowas wie ein Pseudonym) ‚Stachelmoppel1949‘ bei brutalopoker.de registriert und übe fleißig Texas Hold’em. Das Geld für meine Einsätze entnehme ich selbstverständlich nicht der Parteikasse sondern meiner Privatschatulle.
Jetzt dürfte jedem Genossen klar sein, um was es geht, was in den nächsten Wochen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Spiele steht. Ich bitte euch alle um eure rückhaltlose Unterstützung, damit die SPD die berechenbare Partei bleibt, zu der wir sie gemacht haben, und nicht gewissenlosen Hasardeuren wie Oskar Lafontaine in die Hände fällt.
Mit solidarischem Gruß
Euer Kurt

[tags]Politik, SPD, Beck, Linke, Lafontaine, Wortbruch, Hessen, Hamburg, Glücksspiel, Ungeheuer![/tags]

14 Gedanken zu „Der Wortbruch – und die Gründe dafür

  1. Stand in der Grußformel wirklich „solidarisch“? Das passt irgendwie nicht zu ihm. Ist der Brief vielleicht eine Fälschung?

    Vermutlich bin ich zu misstrauisch. Kommt mit dem Alter.

  2. Wie diese wichtigen Dokumente immer den Weg in die Netzecke finden – faszinierend. »`:-|«

    Ich glaube nicht, dass es sich um eine Fälschung handelt.

    Ich interpretiere den Wechsel der Anrede von „euch“ auf „Genosse“ plus Nachname in der Steinmeier-Passage als gewollte Provokation. Denn unter den Sozis ist es ja (anders als in der DDR) üblich, sich mit Genosse und Vorname anzureden. Die bewaffneten Organe wurden mit Genosse plus Nachname angeredet.

    Das bedeutet dreierlei:

    Meckimoppel reibt dem guten Außenminister schonmal Lafos Anti-Kriegskurs unter die Weste.
    Frank-Walter wird angezählt, damit er weiß, wessen Birne rollt, wenn Lafo das Rückspiel gewinnt.
    Sollte Meckimoppel das Rückspiel gewinnen, schmeißt er hin und FW kann zusehen, wie er den Laden zusammenhält.

  3. Ich kann garnicht sagen, wie aufgeregt ich bin. Ich will unbedingt wissen, wie es in diesem spannenden Polit-Drama weitergeht.

    Hoffentlich bekommt die Netzecke wieder alle relevanten Dokumente zugespielt. Wenn man nur die Mainstream-Medien liest, ist man ja völlig außen vor.

    Gut, dass man hier die Wahrheit erfährt.

  4. Mir ist gerade das Chat-Protokoll einer Online-Poker-Übungs-Sitzung mit Stachelmoppel1949 zugespielt worden. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich es veröffentlichen soll, da ich mir nicht sicher bin, ob es nicht doch eine Fälschung ist. So bescheuert kann sich doch keiner anstellen…

  5. Immer veröffentlichen. Weiß auch nicht, wer dieses Gerücht mit den Fälschungen gestreut hat. Ich habe immer gewusst, dass auf dieser Seite alles sorgfältig auf Echtheit hin geprüft wird.

    Dies ist schließlich nicht Henri Nannens Netzecke.

  6. Folgendes wurde mir zugespielt:

    „Hallo,

    ich hoffe du kennst mich noch? Ich hab deine Mail Adresse von einen alten Freund von uns bekommen. Und hab gedacht, ich schreib dir einfach mal. Hab echt lange nichts mehr von dir gehört. Wo wohnst du eigentlich ? Und was machst du so ?

    Ich habe mich im Spiele Chat, vom Schulfreunde Casino, eingetragen. Mir gefällt die Idee, und ich will Dich auch dafür begeistern, mitzumachen.
    Fast alle unsere alten Parteifreunde und Genossen sind schon dabei. Sogar zwei Lehrer von uns. Vielleicht hast du ja Lust mitzumachen? Ich habe letzte Woche 12.134 Euro beim Poker und Roulette gewonnen.

    Ich hab dich einfach mal dort angemeldet mit folgenden Benutzer Namen:
    Benutzer Name: Stike
    Passwort: Ich habe deine Email Adresse als Passwort angegeben. Kannst du ja
    ändern :-)

    Auf deinen Konto habe ich von meinen Gewinn mal 100 Euro überwiesen.
    Somit kannst du mal die Sache mit meinen Geld kostenlos Testen.
    Dein Gutschein Code ist: GE18339223
    Vielleicht hast du ja Lust zusammen mit mir oder unseren Freunden zu Pokern? Oder wir treffen uns ja beim Roulette ? Ich würde mich echt freuen mit dir zu chatten und zu Pokern.
    Du musst natürlich nicht spielen. Wir können ja auch nur chatten. Oder wir telefonieren einfach mal :-)

    Dein alter Schulfreund ;-)“

  7. Hochinteressant. Ein weiteres Stück im Puzzlespiel. Die anstehende Frage lautet natürlich: Wer ist Stike? Könnte die Tatsache, dass „Stike“ ein Anagramm von „Kiste“ ist, von Bedeutung sein?

  8. Kommen dieses wichtigen Dokumente des Zeitgeschehens eigentlich auch gebündelt in Buchform auf den Markt? So à la „Netzecke deckt auf“… Bis jetzt waren ja nur absolute Top-Promis als Protagonisten vertreten. Das wäre doch ein gefundenes Fressen fürs Feuilleton und Du wärst garantiert im Corso-Gespräch auf DLF.

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