Im Supermarkt

Diese von außen so unscheinbar wirkende Kaisers-Filiale (ich weigere mich, Kaisers mit Deppenapostroph zu schreiben, wie die Geschäftsleitung es vorzieht) in der Yorckstraße ist einer der Supermärkte mit dem größten Unterhaltungspotential (ich weigere mich, Potential mit z zu schreiben, wie der Duden es seit neuestem gestattet) Berlins. 4 Faktoren spielen in dieser Filiale zusammen, die gemeinsam für ein unvergessliches Einkaufserlebnis sorgen, dass der Kenner wieder und wieder aufsucht. Doch der Reihe nach. Faktor 1 ist:
Die Innenarchitektur. „Lasst uns ‚Sardinen in der Büchse‘ spielen!“ hat der Innenarchitekt beim Umbau dieser Filiale ausgerufen, und die Geschäftsleitung von Kaisers ist ihm gefolgt. Trotz eines relativ kleinen Grundrisses findet beinahe das komplette Supermarkt-Sortiment in dieser Kaisers-Filiale Platz. Was zur Folge hat, dass es hier etwas eng zugeht, besonders, wenn mehrere Kunden sich unvorsichtigerweise das Einkaufserlebnis teilen möchten. In einigen Gängen passen gerade mal knapp zwei Einkaufswägen nebeneinander, in der Hälfte der Gänge genügt schon einer, um die Durchfahrt zu verstopfen. Entert eine junge Familie mit einem dieser ausladenden Kinder-Straßenkreuzer diese Filiale, kommt der Verkehr meist zum Erliegen. Hier wohnen viele Familien mit Kindern, deshalb gilt zwischen 8 und 20 Uhr: Every hour is rush hour! Womit wir bei Faktor 2 wären:
Sensible junge Familien, die ihrem Nachwuchs die Welt erklären. Viele solche Familien haben den Kiez rund um die Hornstraße zu ihrer Heimat erkoren. Und die meisten dieser Familien gehen bei Kaisers einkaufen. Dort gibt es das Regal mit den bunten Milchprodukten, da können wir mit dem Junior „Joghurt erkennen“ spielen. „Guck mal, Mama! Kirsch-Banane!“ – „Ja, Kevin!“ – „Und Holunder-Birne!“ – „Prima, Kevin!“ – „Und dass da ist… ist…“ – „Aber die Sorte kennst du doch, Kevin! Letzte Woche hast du’s noch gewußt.“ – „Orange-Weihnachtszauber?“ – „Fast, Kevin! Denk noch mal nach!“ Und hinterm heiteren Joghurt-Raten stapeln sich die Einkaufswagen, Menschen winden sich an Mutti und Kevin vorbei, um zum Magerquark vorzustoßen, eingeklemmte Rentner sterben röchelnd den Erstickungstod, aber das halslose Ungeheuer und seine Erzeugerin weichen nicht, bis der letzte Joghurt durchdekliniert und (wenn Kevin schon 6 ist) nach linksdrehend oder rechtsdrehend einsortiert ist. Panik erfasst die anderen Kunden, ein Run auf die Kassen setzt ein, denn dort wird demnächst der letzte Akt des Dramas „Kevin darf bezahlen!“ gegeben, Untertitel dieser Abteilung: „Wir lernen Wechselgeld gaaaanz sorgfältig abzählen.“ Vor der Kasse kommt aber noch Faktor 3:
Die bizarre Gedankenwelt der Mitarbeiterinnen an der Fleischtheke. Der Leser hat es schon gemerkt: eine Spur Stress-resistent sollte man schon sein, wenn man in dieser Filiale einkauft. Um so staunens- und lobenswerter ist die unerschütterliche Geduld, mit der die Kaisers-Angestellten Kamele durch Nadelöhre zwängen, um für den Waren-Nachschub zu sorgen und auf die Launen ihrer exotischen Kundschaft einzugehen. An irgendeinem Ort muss man sich nun aber wirklich mal abreagieren, und das ist die Fleischtheke. Mein dortiges Lieblingsszenario: Durchwachsener Speck. In Scheiben. „Ham wa nur am Stück. In Scheiben müssense abjepackt koofen.“ Leute, die richtig was erleben wollen, machen jetzt den Vorschlag, den Speck auf der Aufschnittmaschine in Scheiben zu schneiden. „Ditt jeht ja nun gar nicht. Die Knorpeln und die Schwarte, die machen uns ja die janze Maschine kaputt.“ Hinweise auf andere Fleischereien, die ihre Aufschnittmaschinen rücksichtslos zum Wohle der Kundschaft einsetzen, perlen an den Fleischthekenmitarbeiterinnen wirkungslos ab. Hinweise auf die mächtige Urgewalt der Aufschnittmaschine und die doch eher laffe Konsistenz des Specks werden ignoriert. Wenn man endgültig vom Supermarktkunden zum Querulanten mutiert, will man jetzt den Filialleiter sprechen, der das ganz heiße Eisen „Speckscheibe“ nur sichtlich gequält durchdiskutieren mag und verspricht, „Rücksprache mit der Geschäftsleitung zu nehmen“, ob eine Scheibelung des Specks nicht doch ins Dienstleistungsprogramm aufgenommen werden könnte. Auf das Ergebnis dieser Rücksprache warte ich seit 15 Jahren und 4 Filialleitern. Heute aber nicht mehr, denn jetzt will ich zu Faktor 4:
Den Scannerkassen und Magnetkartenlesegeräten. Für den Abschluss des Einkaufserlebnisses hat sich die Firma Kaisers etwas ganz besonderes einfallen lassen: In liebevoller Kleinarbeit sorgsam zerkratzte Scanner-Fenster und die divenhaftesten Magnetkartenlesegeräte Berlins! Hier gerät das an sich simple Einlesen einer Bonuskarte zum Königsdrama Shakespeareschen Ausmaßes, minutenlang steht man mit hochrotem Kopf an der Kasse und windet sich vor Peinlichkeit, während die Kassiererin mit unerschütterlicher Akribie die Bonuskarte übers Fenster wedelt bzw. mit unendlichem Feingefühl durch das Lesegerät zerrt („Man muss det mit Jefühl und ’nem kleenen Zwischenstopp machen, vastehn se? Denn klappt det… manchmal.“). Um den Todesdrohungen der in endlosen Schlangen wartenden Kunden zu entgehen, will ich die Bonuskartentragödie beenden, doch ich habe die Rechnung ohne die Kassiererin gemacht. „Nix da. Det ziehen wir jetzt durch! Hahahaha!“
Und dann betritt man endlich, endlich wieder die Yorckstraße, atmet den Geruch nach Autoabgasen, Chinapfanne und Freiheit ein, verspürt lange Augenblicke lang ein unglaublich tiefes Lebensgefühl… und stellt dann fest, dass man die Kaffeesahne vergessen hat und noch mal in den Laden zurück muss. Das Leben kann so grausam sein.

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2 Gedanken zu „Im Supermarkt

  1. Man kann Kaiser’s (Ja, ich weigere mich nicht! Deppenapostroph hin oder her – es ist nun mal der Firmenname. Ich schreib ja auch nicht Micro$oft ;-)) durchaus mit jedem anderen Supermarkt ersetzen. Ganz besonders in Sachen Mütter und Kevins. Allerdings sterben bei den meisten mir bekannten Supermärkten die Rentner keineswegs den Erstickungstod sondern sind ganz im Gegenteil äußerst lebendig. Besonders dann, wenn’s um die Disziplin „Kleingeld abzählen bei 20 Leuten in der Kassenschlange“ geht.

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