Splitterbrötchen (DCXXXV)

Früher kamen ja süddeutsche Bürgermeister, die versuchten, anderen Menschen ihr kleinbürgerliches Weltbild aufzuoktroyieren, nur als Witzfiguren in Volkstheater-Stücken vor.

Ideenreiche Hamburger: Ziehen sich ihr Bierchen durch die Nase rein, als wär’S ’ne Linie Koks.

Der Tagesspiegel veröffentlichte diese Woche eine sehr lesenswerte Reportage über einen angeblich renitenten Mieter, der sich weigert, seine Wohnung zu verlassen. Derart kriminelles, von öffentlichen Stellen geduldetes Vorgehen von Vermietern gegen ihnen lästige Mieter hat in Berlin leider eine sehr ungute Tradition. Ich habe in meinen drei ersten Berlin-Jahren in der Skalitzer Str. 32 gewohnt, genau gegenüber einem einzeln in einer großen Brache stehenden Mietshaus. Dort weigerten sich die Mieter ebenfalls, auszuziehen, und der Vermieter schreckte vor nichts zurück, um sie zu vertreiben. Der Höhepunkt war erreicht, als ich eines Morgens durch Lärm und eine eigentümliche Knallerei aufwachte, die sich nach Schüssen anhörte. Es waren Schüsse. Auf der abgesperrten Straße standen mehrere Fahrzeuge des amerikanischen Militärs, ein Trupp Soldaten sprang gerade von einem Mannschaftswagen und enterte mit gezückten Waffen das alleinstehende Mietshaus. Der Vermieter hatte das Haus den Amerikanern zur Verfügung gestellt, damit die dort Häuserkampf trainieren konnten. Dass noch Menschen in dem Haus wohnte hatte er „vergessen“, den Militärs mitzuteilen.

Am Dienstagabend sagte ich beim Abendessen spontan etwas, was vermutlich gleichzeitig schlau und lustig war, denn die beste, geduldigste Gemahlin von allen sagte sofort: „Merk dir das für die Splitterbrötchen!“ Natürlich hatte ich es Im Bruchteil einer Sekunde vergessen.

Ich seh es kommen: Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis jemand Seminare für „digitale Manschlichkeit“ anbietet. Ach nee, gibt’s ja schon.

Meine Rede seit bald 60 Jahren: Man braucht genug Grundplatten, wenn man beim Lego den dicken Larry machen will.

Wer die eigene Ignoranz wie ein Banner vor sich her trägt, glaubt auch, dass der Satz „Ich kann dich gut verstehen…“ grundsätzlich Zustimmung signalisiert.

Ich möchte das Ableben von Schauspiel-Gigant Ken Kercheval zum Anlass nehmen, an die letzte (Doppel-)Folge von „Dallas“ zu erinnern, m. E. dem unterschätztesten Serienschluss aller Zeiten. J.R. steht vor den Trümmern von Ewing Oil und denkt, dass alles sinnlos war, was er in seinem Leben angestellt hat. Da erscheint ihm der Leibhaftige (von Joel Grey gespielt, von wem sonst?) und führt ihm in einer grandiosen Anti-These zu Capras widerlicher Schmalzorgie „It’s a Wonderful Life“ vor, wie die Welt ohne J.R. Ewing ausgesehen hätte: Sue Ellen glücklich, Bobby on Top of the World usw. J.R. ist nicht überzeugt. Aber dann muss er sehen, dass Cliff Barnes, diese unerträgliche Natter, die ständig chinesisches Essen aus Pappkartons in sich hineinstopfte, anstatt im „Club der Ölbarone“ stilvoll zu speisen, es ohne seine Intrigen bis zum Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten gebracht hätte. Und dann wird J.R. Zeuge, wie Barnes den Anruf bekommt, dass der Präsident den Löffel abgegeben hat und der Präsident der USA ab sofort Cliff Barnes heißen wird. Und J.R. erkennt, dass all seine Niedertracht letztlich einem höheren Ziel gedient hat: Leute wie Barnes zu verhindern. Groß. Einfach nur groß.

Warum gibt es eigentlich in Lokalen keine „Hippie Hour“, in der gealterten Anhängern einer drogennahen Alternativkultur attraktive Preisnachlässe gewährt werden?

Kulinarischer Wochenhöhepunkt: Gegrillter Spießbraten mit ganz fantastischer Kruste im „Franziskaner“ in Hamburg.

Älter werden ist ein ständiger Spagat zwischen permanentem Dejá vu und dem anderen… dem genauen Gegenteil… ich hab’s gleich…

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