Meine Mutter, Brot essend

Wer das Privileg hat, älter werden zu dürfen, kennt das: Da sind ein paar Bilder hängen geblieben, aus den verschiedensten Abschnitten des eigenen Lebens.

Auf einem der frühesten Bilder, an die ich mich erinnern kann, sitzt meine Mutter in der Küche. Sie hat ihre Schürze umgebunden und isst einen Kanten Brot. Nicht den appetitlich-knusprigen Kanten eines frischen Brots, sondern den trockenen, steinharten Kanten eines mehre Tage alten Brotlaibs, den alle anderen Familienmitglieder verschmäht hatten. Meine Mutter, die meine Geschwister durch den 2. Weltkrieg und die Hungerjahre der Nachkriegszeit hatte bringen müssen, war unfähig, Lebensmittel wegzuwerfen. Und Brot schon gar nicht, auch wenn es ein steinharter Kanten war. Also aß sie ihn zum zweiten Frühstück, dünn mit Butter bestrichen. Um das harte Brot abbeißen zu können, schnitt sie das Brot immer wieder ein Stück mit ihrem Küchenmesser, dem “Kliffchen“, ein, so dass sie es mit große Mühe doch noch abbeißen konnte. Sie kaute jeden Bissen lange, um ihn überhaupt herunter schlucken zu können. Gelegentlich feuchtete sie dabei Brot und Kehle mit ein wenig Kaffee an. So ein Brotkanten-Frühstück dauerte recht lange, mindestens zwanzig Minuten. In kürzerer Zeit war dem harten Brot nicht beizukommen.

Ungerechtes Postscriptum: Viele Jahre später sah ich die große Schauspielerin Therese Giehse in der Berliner Schaubühne. Sie spielte die Hauptrolle in “Die Mutter“, einem Stück von Brecht nach einem Gorki-Roman. In einer Szene aß sie auf der Bühne mit großer Inbrunst, Hingabe und Sorgfalt einen Teller Suppe. Insbesondere dafür war sie von der Theaterkritik sehr gelobt worden. Ich hatte den Vergleich zu meiner Brot essenden Mutter. Für mich war’s – bei aller Bewunderung für Frau Giehses Können – eine Zirkusnummer..

Das gibt nix!

Da geistert so ein Rezept für einen 5-Minuten-Brotteig durch die Foodblogs, das ist so simpel, dass ich nicht glauben wollte, dass es funktioniert: etwas mehr als 700 ml Wasser, 3 Teelöffel Salz (nächstes Mal nehme ich nur zwei), 1 Päckchen Trockenhefe verrühren, dann 1kg Mehl (ich hab 550er genommen) dazugeben, und mit dem Kochlöffel (Knethaken müssten auch gehen) vermischen, bis kein trockenes Mehl mehr zu sehen ist (dauert tatsächlich keine fünf Minuten). Deckel drauf, zwei (wenn man warmes Wasser genommen hat, ansonsten fünf) Stunden bei Zimmertemperatur gehen lassen, dann in den Kühlschrank stellen. Ein Tag warten. Brot backen. Ist doch Quatsch. Kann gar nicht gehen.

BrotteigAm nächsten Tag sah der Teig so aus. Dachte ich’s mir doch. Viel zu klebrig. Das gibt nix! Andererseits… man soll ihn ja gar nicht kneten, vielleicht geht’s ja doch. Hände eingemehlt, Teigstück abgenommen und – ohne zu kneten – zu sowas wie einer Kugel geformt, und auf ein Stück Backpapier gesetzt (überflüssige Vorsichtsmaßnahme). Hmmpf. Ging ja doch. War gar nicht klebrig, sah bloß so aus. 40 Minuten gehen lassen, während der Zeit den Backofen nebst Backstein vorheizen (volle Pulle). Teigkugel bemehlstäubt, eingeschnitten, auf den Backstein geschoben, Tasse Wasser in die Saftpfanne, zisch, zosch, Ofentür zu, Hitze runter (bei meinem ollen Gasherd auf 4), 40 bis 50 Minuten gewartet. Immer noch skeptisch. Das KANN nix geben.

Riecht ja doch ganz gut. Nach 50 Minuten Klopfprobe gemacht (auf die Unterseite des Brots klopfen, wenn’s hohl, klingt ist’s gut), raus aus dem Ofen, abkühlen lassen. Sieht ja doch ganz gut aus.

Brot fertig

Ist auch ziemlich aufgegangen im Ofen. Naja, die Optik mag hinkommen, aber bestimmt isses klitschig und schmeckt nicht.

Brot angeschnitten

Nix da. Ist genaus wie es sein soll und schmeckt absolut genial. Und das schöne ist: Der Teig hält sich bis zu 14 Tage im Kühlschrank. In Zukunft trennen mich nur anderthalb Stunden von einem frischen Weißbrot, Baguette, Brötchen… Und es funktioniert. Dieser Teig rockt!
Wem mein Rumgefuhrwerke in der Küche zu schlampig und ungenau ist, kann bei Petra oder Ilka nachlesen, wie kompetente Nicht-Chaoten zu Werke gehen.

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