Gegen die Angst

„Liebe Jungs, herzlich willkommen auf der Friedrich-Wilhelm-Schule! Damit wir uns gleich richtig verstehen: in drei Jahren ist die Hälfte von euch weg, und Abitur machen höchstens 10 Prozent.“ Mit diesen Worten wurde ich – zehn Jahre war ich damals jung – von meinem ersten Klassenlehrer auf dem Gymnasium meiner Heimatstadt begrüßt. Damit war dann auch die Marschroute für die nächsten neun Jahre vorgegeben: Uns wurde Angst eingejagt, ordentlich Druck gemacht. Damit wir gehorchten und ackerten. Und die Nummer funktionierte sehr gut. Wir bekamen solchen Schiss, dass wir gehorchten und ackerten wie die Weltmeister. Eine Weile lang. Irgendwann hält man den durch dauerndes Angst Machen ausgelösten Druck nicht mehr aus und sucht sich ein Ventil. Wir fingen damals an zu bescheißen. Spickzettel, Vorsagen, Abschreiben, das war nur der Anfang. Und das machten auch die Besten von uns, obwohl sie es eigentlich nicht nötig hatten. Man beschiss nicht nur, um bessere Noten zu bekommen. Das Gefühl, den damals allmächtigen Lehrer übers Ohr hauen zu können, war wunderbar. Man spürte eine große Erleichterung, wenn man es einmal getan hatte. Und tat es dann immer wieder. Weil es Spaß machte. Ungefähr achtzig Prozent meiner Abiturnoten – ja, ich gehörte zu den zehn Prozent – sind durch zum Teil ausgefeilte Betrugsmethoden zustande gekommen. Ich hab sogar im Sport-Abi beschissen. Weil ich es konnte.

Die Parallelen zur aktuellen pandemischen Lage sind unübersehbar, nicht wahr?