„Hier, probier mal…“
„Nee, danke, ich ess doch nix Süßes.“
„Das MUSST du probieren.“
„Nee, keinen Bock. Ist du ruhig deine Torte, dann gehen wir zur Fischabteilung…“
„Du probierst jetzt!“
„Lass gut sein. Torte ist Kuchen, und Kuchen ist Torte. Ist mir wurscht.“
„Wenn du jetzt nicht sofort ein Stück probierst, mümmel ich solange an der Torte rum, bis die Austern alle sind!“
„Okay, nur damit du Ruhe gibst…“
…
„Und?“
„Das ist ja wahnsinnig. Wie heißt das?“
„Das ist eine ‚Charlotte Cecile‘.“
„Unglaublich. Einfach unglaublich. Äh, Frollein, ich nehm auch so ein Stück!“
„Ich denke, du magst keinen Kuchen?“
„Das ist kein Kuchen, das ist keine Torte, das ist ein Stück vom Paradies. Frollein, machen Sie gleich zwei Stück für mich!“
Das war mit das erste Gericht, mit dem ich kulinarische Ehren einlegte. Ich hatte das Rezept aus irgendeiner Zeitschrift, und es überzeugte durch Einfachheit und Geradlinigkeit: Packung TK-Suppengemüse in reichlich Butter anschwitzen, mit ordentlich Curry bestäuben, kurz durchschwitzen lassen, mit anderthalb Litern Instant-Hühnerbrühe ablöschen, zehn Minuten köcheln lassen, Becher Creme Fraiche reinrühren, Packung TK-Fleischklößchen reinwerfen, noch zehn bis zwanzig Minuten ziehen lassen (bis die Klößchen aufgetaut und durch sind, nochmal abschmecken, fertig.
So einfach dieses Gericht klingt, so lecker hat das damals geschmeckt. Ich hab das immer für Feten gekocht, und wenn wir einluden, wurden wir immer wieder gefragt „Gibt’s wieder die gute Curryrahm-Suppe“? Das hat nicht wenig stolz gemacht.
Aber das Gericht erwies sich als Bumerang. Die Menschen fragten mich nach dem Rezept, ich gab’s- wie immer – bereitwillig weiter, und da es sich ebenso leicht merken wie zubereiten ließ, begegnete ich bald auf vielen Feten dieser Curryrahm-Suppe. Irgendwann konnte ich sie nicht mehr sehen.
Aber in bester Erinnerung hab ich sie behalten, und am Wochenende hab ich sie – nach zehn bis fünfzehn Jahren – zum ersten Mal wieder gekocht.
Okay, ich habe das Rezept etwas abgewandelt. Ich habe selbstgemachte Hühnerbouillon verwendet, und die Klösse hab ich auch selbst hergestellt (Aus 750gHackfleisch halb und halb, 2 eingeweicht, ausgedrückte Schrippen, 2 kleine Eier, Senf, Salz, Paprikapulver, Pfeffer einen noch leicht fluffigen Hackteig erstellen, Golfball-große Klößchen formen und zehn Minuten in der Suppe ziehen lassen. Man könnte die Klößchen vorher anbraten, abereinfach so in der Suppe gegart werden sie wunderbar locker), aber ansonsten bin ich der klassischen Rezeptur gefolgt und konnte wieder einen Erfolg einheimsen. Jeder, der mit am Tisch saß, hat ordentlich Nachschlag verlangt, und mir selber hat sie auch wieder geschmeckt.
Beim Essen sind mir ein paar Ideen gekommen, wie man das Rezept weiter verfeinern kann. Lammgehacktes. Oder vom Geflügel. Mit verschiedenen Curry-Sorten experimentieren. Und die Sahne mal durch Kokosmilch ersetzen…
Diese Suppe wird mir nicht so schnell wieder aus den Ohren rauskommen.
Das Spitzenback in der Großbeerenstr. ist ein durchschnittlicher Discount-Bäcker mit einem herausragenden Angebot. Durchschnittlich, weil es das gibt, was es bei anderen Discountbäckern auch gibt: vorgebackene Brötchen, die im Laden fertig gebacken werden, einen Haufen Kuchenzeugs, das ich nicht esse, eine Kaffeemaschine, diverse Mitarbeiterinnen, die gelegentlich mangelnde Kompetenz durch große Freundlichkeit wettmachen sowie jede Menge belegter Brötchen, von denen eines das gesamte Angebot der Firma Spitzenback überstrahlt: das Ei-Brötchen.
Nun kann man nicht einfach zu Spitzenback gehen und dort ein Ei-Brötchen ordern und essen. Das heißt, man könnte schon, ich würde jedoch dringend davon abraten. Das Ei-Brötchen von Spitzenback sollte man aus gutem Grund nur – nach entsprechender Vorbereitung – in den eigenen vier Wänden verzehren.
Also, wenn du das unglaubliche Ei-Brötchen von Spitzenback probieren willst, lass es dir einpacken, leg deine 1,50 Euro hin und trag‘s nach Hause. Dort packst du‘s aus, legst es auf einen großen Teller und ziehst mindestens deine Jacke aus. Vorsichtige Naturen entkleiden sich bis auf die Unterwäsche, aber das ist ein bisschen übertrieben. Eine Rolle Küchenpapier neben dem Teller kann nicht schaden, aber vergiss das wichtigste nicht: Bevor du dich hinsetzt, um das Ei-Brötchen von Spitzenback zu essen, musst du die Badezimmertür aufmachen. Nein, zieh nicht die Augenbrauen hoch, stell keine dummen Fragen, mach einfach die Badezimmertür auf, du wirst schon sehen, wozu das gut ist.
Badezimmertür offen? Okay, nimm Platz. Klapp das Brötchen auf und salz nach. Sie machen bei Spitzenback immer zu wenig Salz auf das Ei-Brötchen, keine Ahnung warum. Nein, nicht erst probieren, ob es salzig genug ist, du willst jetzt salzen, nachsalzen ist nicht möglich. Glaub mir. Jetzt nimm das Brötchen in beide Hände und beiss rein. Holla, die Waldfee! Schmeckt üppig, nicht wahr? Außergewöhnlich üppig! Das Kauen nicht vergessen! Jaha, da ist eine ordentliche Portion Mayo dran. Und ein Salatblatt, eine Tomatenscheibe, ca. anderthalb gescheibelte Eier und richtig dick Margarine sind auch noch da, jaha, hauahauaha! Und während du kaust und schluckst, werden plötzlich deine Hände feucht. Nein, das ist kein Angstschweiß wegen der Kalorienzahl, das ist das Mayo-Margarine-Gemisch, was seitlich aus dem Ei-Brötchen quillt! Schnell ablecken, keine Zeit verlieren, sonst tropft es dir auf die Hose! Okay, du könntest dich über den Teller beugen, aber das wäre doch unsportlich. Wer ist schneller, das Ei-Brötchen von Spitzenback oder du? Du hast keine Chance: das Ei-Brötchen ist immer schneller. Und deswegen musstest du auch vorher nachsalzen: um den Salzstreuer nicht mit Mayo zu verkleben.
Jetzt wird der zweite Biss ins Brötchen fällig. Erstaunlich, nicht wahr? Erst einmal abgebissen und du musst schon kämpfen. Das Brötchen hat es in sich. Und das rausquellende-Mayo-Ablecken nicht vergessen! Erstaunlich, was so alles aus so einem scheinbar kleinen Brötchen rausquellen kann, nicht wahr? Hat irgendjemand eine kleine Mayo-Manufaktur ins Brötchen eingebaut, die stetig für Nachschub sorgt? Das gibt‘s ja nicht, was da alles rausläuft…
Am Ei-Brötchen von Spitzenback sind schon die härtesten Kerle gescheitert, aber du wirst es schaffen, das wäre ja gelacht. Das halbe Brötchen hast du schon verdrückt, den Rest wirst du doch mit zwei, drei Bissen… es quillt ja immer noch Mayo raus! Das kann nicht sein…
Aber irgendwann hast du‘s geschafft. Mit allerletzter Kraft hast du den letzten Bissen runtergezwungen, sowie du wieder zu Atem gekommen bist, schwörst du dir, in deinem Leben nie wieder so ein fettiges Ei-Brötchen zu essen, du versuchst, dir die Finger mit dem Papier von der Küchenrolle sauberzumachen… geht nicht! Das Mayo-Margarine-Gemisch bleibt hartnäckig kleben, da hilft kein Küchenpapier, das geht nur mit Wasser und Seife… Und jetzt weißt du, warum du die Badezimmertür aufmachen solltest: damit du hinterher nicht die eingesaute Türklinke saubermachen musst. Das Ei-Brötchen von Spitzenback ist eben was für Leute, die die Logistik im Griff haben. Für echte Spezialisten.
Das 40-Zehen-Knoblauch-Huhn ist das bekannteste unbekannte Gericht der Welt. Beinahe jeder Mensch hat schon mal von diesem Rezept gehört, über 90 Prozent der Menschen meines Bekanntenkreises äußern sich wortreich und lautstark über dieses Gericht, ohne es je probiert zu haben: „Um Himmels willen, 40 Knoblauchzehen! Wer soll denn das essen? 40 Zehen! Kein Wunder, dass das Abendland zugrunde geht. 40 Knoblauchzehen, das ist das Ende der Zivilisation, Ragnarök steht unmittelbar bevor, 40 Zehen, um Himmelswillen!“
Wer dieses Gericht schon mal gekostete hat, sagt solch aufgeregten Unfug natürlich nicht. Dieses Huhn mit 40 Zehen (gehen übrigens auch 60, 80 oder mehr, solange das Huhn unter‘m Knoblauch noch zu sehen ist) ist eine der einfachsten Möglichkeiten, ein Huhn so zuzubereiten, dass alle Leute am Tisch die Augen verdrehen. Es riecht und schmeckt so dezent, dass selbst vorbeilaufende Knoblauchverächter nicht merken, was da im Schmortopf brutzelt und – wenn man sich zusammenreißt und nicht mehr als 4 bis 5 Zehen ist – strahlt man selbst am nächsten Tag auch nicht den berüchtigten Knoblauchdunst aus.
Man benötigt ein Huhn von anständiger Qualität, ich kaufe immer die Viecher aus der Loué, die haben eine mehr als anständige Qualität. Es muss nicht unbedingt die Bioqualität sein, aber der 1,8-Kilo-Kawenzmann im Foto war vom Stamme Bio. Nicht billig, aber jeden Cent wert. Dazu braucht man noch die erwähnten 40 Knoblauchzehen (gerne mehr, wie gesagt), am besten geschält. Es gibt Varianten des Gerichts, da werden sie ungeschält dazu gegeben. Ist natürlich eine feine Sache für Faulpelze wie mich, aber ich finde es furchtbar umständlich, die Dinger auf dem Teller aus ihren Schalen zu pulen, die dann im leckeren Bratensaft rumschwimmen. Nö. Muss nicht sein. Lieber vorher schälen. Zehen vor sich ausbreiten, einmal kurz mit dem Messer oder dem Handballen draufdrücken, bis es knackt, dann flutschen sie meistens problemlos aus der Schale, und die 40 Dinger hat man dann in zehn Minuten gepellt.
Huhn bratfertig vorbereiten, innen und außen pfeffern und salzen, bißchen Zitronensaft bißchen Thymian ins Hühnerinnere geben. Olivenöl in den schweren Schmortopf auf mittlere Hitze bringen und das Huhn langsam von allen Seiten anbraten. Anbraten heißt, dass es eine schöne braune Farbe bekommen soll (nicht schwarzer Kreis im weißen Feld) und langsam heißt, dass diese Prozedur sich ca. zwanzig Minuten lang hinziehen sollte.
Huhn kurz raus aus dem Topf, Fett abgießen, die 40 Knoblauchzehen anschwitzen, mit einem Schuss Weißwein (soll nur ganz wenig Flüssigkeit im Topf stehen) ablöschen, Huhn wieder in den Topf, dicht schließenden Deckel drauf und ab in den Ofen der so 140, 160 Grad (Gas 3) haben sollte. Wenn‘s im Topf braust oder brodelt, ist dem Huhn zu heiß! Nach 30, 40, 50 Minuten im Ofen (je nach Größe des Huhns) nimmt man den Deckel ab, lässt noch eine Viertelstunde bräunen und das war‘s. Das Huhn sollte jetzt in etwas so wie auf dem Bild aussehen. Dann läßt man es noch zehn Minuten ausruhen, bevor man es tranchiert.
Und das, was noch im Topf ist, dieses unglaubliche Konglomerat aus Olivenöl, Wein, Hühnerfond, Zitronensaft und Knoblauch, das füllt man in eine Sauciere und stellt sie auf dem Tisch möglichst weit weg von mir. Weil ich sonst vom Huhn nix nehme und die Zehen alleine aufesse (Hab ich tatsächlich mal gemacht. Hatte dann ziemlichen Durst, hab nicht sonderlich gut geschlafen und am nächsten Tag ein neues Kapitel in der Geschichte des Körpergeruchs geschrieben).
Mehr ist nicht. Das einzige Problem dieses sensationellen Essens: es passt keine Beilage. Deshalb vorher einen Salat o.ä. reichen und dann das Huhn, wie es ist, mit dem Knoblauch, und nur ein bißchen Baguette dazu. Man glaubt, man ist im Paradies. Und – wie gesagt – man riecht hinterher nicht. Wenn man sich zusammenreisst. Aber wer tut das schon?
Gestern gab’s Bio-Hokkaidos im Angebot, und da die Ankunft des Herbsts sich endgültig nicht mehr leugnen läßt, hab ich zugeschlagen und das erste Herbstgemüse des Jahresauf den Tisch gebracht. Und endlich dieses Rezept für Kürbisspalten aus dem Ofen ausprobiert. Hokkaido also entkernt und in dünne Spalten geschnitten, in eine Schüssel verfrachtet, gesalzen, gepfeffert, ein paar großzügige Schwuppe Olivenöl drüber, mit den Händen vermengt und dann auf einem mit Backpapier ausgelegten Backblech ausgebreitet. In den auf 180 Grad vorgeheizten Ofen geschoben, nach einer halben Stunde rausgeholt, mit Zitronensaft beträufelt, Mahlzeit!
Fürs nächste Ma(h)l: Spalten ruhig etwas dicker schneiden. Die dünnsten (2-3mm) waren schon nach einer Viertelstunde gar. Und anfangen, mit Gewürzen zu experimentieren. Ingwer. Kreuzkümmel. Sowas. Ganz erstaunlich war, wie sehr die Kürbisspalten im Ofen zusammengeschnurrt sind. Der Hokkaido von der Größe eines Kinderballs hat knapp als Beilage für 2 gereicht.
Wolfram Siebeck wird heute 80. Auch wenn ich mich in letzter Zeit ein wenig über ihn geärgert habe, ich war, bin und bleibe ich einer der größten Fans dieses Mannes. Das erste Kochbuch, das ich erwarb, war von Siebeck. Nach wie vor habe ich mehr Bücher von Siebeck im Regal als von jedem anderen Autor, der sich mit Essen und Trinken befasst.
Was machst du zu Siebecks Achtzigstem, habe ich mich gefragt. Irgendwas von Siebeck kochen und abfotografieren? Quatsch. Siebeck kocht möglicherweise besser als ich, mit Sicherheit können sie bei ZEIT und Feinschmecker besser fotografieren (die haben die besseren Fotoapparate). Was über Siebeck schreiben? Quatsch. Niemand schreibt über Essen, Trinken und Siebeck so grandios, gallig und gut wie Siebeck. Deshalb heute, zum Achtzigsten, meine Lieblings-Siebeck-Zitate:
Thema Angst:
„Ob es sich um muslimische Einwanderer, Schwule oder um gefüllten Saumagen handelt, der deutsche Bürger weiß, wovor er sich fürchtet.“ Stern Nr. 14/2008
Thema Hausfrau:
„Schlecht kochen kann jeder, aber nur die deutsche Hausfrau schafft es, darauf noch stolz zu sein.“ Playboy
Thema Elite:
„Das ist wieder der Hartz-IV-Vorwurf. Ich schreibe doch nicht für diese Leute. Für die bin ich ein Unfall. Wenn ich die Sportseite aufschlage, verstehe ich auch nichts.“ Zeitmagazin 39/2008
Thema Heston Blumenthal:
„Wenn Blumenthal der beste Koch der Welt ist, dann bin ich eine Bratwurst.“ ARD-Interview, 2005
Thema Ente im Tour d‘Argent:
„In meinen kulinarischen Phantasien verliert sie jedenfalls ihre Ähnlichkeit mit einem napoleonischen Adler und ähnelt nun eher Donald Duck.“ Kochbuch für Anspruchsvolle
Thema Bier:
„Im Sommer hier, wenn es glühend heiß ist, dann schütte ich mir schon mal eins gegen den Durst. Wasser ist ja immer so ein bißchen läppisch.“ Zeitmagazin 39/2008
Thema Genuß:
„Bekennen sich Revolutionäre wie Danton offen zum kulinarischen Genuß, wird ihnen dies automatisch um Vorwurf gemacht und gilt beim späteren Prozeß als strafverschärfend. Ist aber ein Massenmörder wie Hitler Vegetarier, so bringt niemand seine Schandtaten mit diesem Umstand in Zusammanhang.“ Zeitpunkte, Siebecks Sinne
Zu Wolfram Siebeck habe ich immer aufgeblickt. Ich bewunderte den galligen Humor, mit dem er seine Gastro-Kritiken schrieb und den Deutschen wegen ihrer „Plumpsküche“ (herrliche Wortschöpfung) nimmermüde die Leviten las. Mein allererstes selbstgekauftes Kochbuch war von ihm, die Kochschule für Anspruchsvolle, und jahrelang hab ich die Zeit nur wegen Siebeck (und dem Kreuzworträtsel) gekauft. Insbesondere Siebecks Sommerseminare waren früher (80er/90er Jahre) echte Koch-Kracher. Solide und vor allen Dingen einfach zu kochende Gerichte, die gar nicht schief gehen konnten, wenn man beim Einkauf auf die Qualität der Produkte achtete. Ein paar von den Rezepten koche ich heute noch regelmäßig.
Aber wenn ich mir angucke, was Siebeck in seinem derzeitigen Sommerseminar in der Zeit verzapft, dreht sich mir das Hechtklößchen im Magen um: Der Altmeister betreibt lustlosen Etikettenschwindel, wenn er behauptet, die „Geheimnisse der einfachen Küche“ zu verraten. Was soll denn an einer Vinaigrette aus Essig, Olivenöl, Salz, Pfeffer und Senf geheimnisvoll sein? Wo ist bei einem Kartoffelpüree aus weichgekochten Kartoffeln, Milch, Butter und Muskatnuss der Trick, der diese bodenständige Beilage zur Delikatesse adelt? Auch die geheime Zutat zu seiner unvergleichlichen Hühnerbrühe verschweigt Siebeck: Einfach ein Suppenhuhn mit Suppengemüse stundenlang kochen genügt, behauptet der vermeintliche Geheimnisträger.
Was ein Jammer! Denn gerade in der einfachen Küche gibt es immer wieder wahre Schätze zu heben. Auf einen solchen bin ich unlängst bei den Rezepten von Frau Kaltmamsell gestoßen, die diese makellose Perle von Ihrer Tante hat: Ordentlich Olivenöl in den Topf, Knoblauch, Dose kleingeschredderte Pelati und etwas Rosmarin dazu, einköcheln lassen, salzen und pfeffern, dann pro Nase eine Scheibe Rindsroulade dazu, eine Stunde sachte köcheln lassen, paar Streifen rote Paprikaschote dazu, noch 5 Minuten weiterköcheln und fertig. Bei der verehrten Frau Tante gibt’s Reis dazu, ich hab beim ersten Versuch gebratenen grünen Spargel gemacht, geht auch. Geknofelter Blattspinat ist ebenfalls keine schlechte Idee.
Total simpel, aber trotzdem ganz großes Tennis. Wie der frühe Siebeck. Ach ja.
Von einer ganz, ganz großen Delikatesse ist die Rede: von der Bratwurst. Bevor ich jetzt zum Wahnsinnigen erklärt werde: mit Bratwurst meine ich natürlich nicht das, was in 99 Prozent alles Imbissbuden des deutschsprachigen Raums als „Bratwurst“ bezeichnet wird. Ein Verwendungszweck für diese fett-triefenden Holzkohlen-Brennstäbe, die dort verkauft werden, muss noch gefunden werden, denn Essen kann man derlei Zeugs sicherlich nicht, es sei denn, man erwägt die Eröffnung einer eigenen Sodbrennerei oder möchte seinen Gaumen mal wieder so richtig abhärten.
Insbesondere Berlin konnte ich bis vor wenigen Tagen nur als Bratwurst-Diaspora bezeichnen. Das, was in den Vitrinen selbst renommierter Berliner Fleischer lag und liegt, treibt jemandem, der mit den unvergleichlichen frischen, ungebrühten Bratwürsten Nordhessens großgeworden ist und seine erste solche auf einem traditionellen Schlachtekohl angemessen bekam, Tränen des Zorns und der Verzweiflung in die Augen. Doch damit ist jetzt Schluss.
Ein Ritter in schimmernder Rüstung hat die Berliner Wurst-Dämonen besiegt und bietet jetzt Berlins beste Bratwurst an, und zwar so, wie es sich für eine richtige Bratwurst gehört: frisch, grob und ungebrüht. Der Mann hinter der Wurst ist natürlich niemand anderes als der hier in der Netzecke schon mehrfach mit Ehrfurcht erwähnte Fleischer Marcus Benser, der Neuköllner Protein-Papst, den viele wegen seiner mehrfach preisgekrönten Hausspezialität auch als Blutwurstritter kennen. Nun, ab sofort ist er auch noch der Bratwurstritter, denn das, was da als „frische, ungebrühte Bratwurst“ bei ihm über den Tresen geht, ist schlicht und einfach eine der größten Delikatessen, die man für kleiens Geld in Berlin zu kaufen bekommt.
Mir schmeckt die ritterliche Bratleiste zur Zeit mit einer Art burgenländischem Kohlrabigemüse am besten, das ich mit dem Bratensatz der Bratwurst auf Höchstleistung tune.
Pro Nase 2 grobe, ungebrühte Bratwürste, 2 kleine oder 1 großen Kohlrabi, geschält und gewürfelt, 1 kleine Zwiebel, 1 Knoblauchzehe, Tomatenmark, Paprikapulver (scharf und/oder edelsüß, nach Gusto), 1 Tomate, etwas Weißwein, 1 Esslöffel saure Sahne.
Die Bratwürste einstechen, eine Eisenpfanne auf mittlere Hitze bringen und die Bratwürste einlegen. Langsam (!) gar braten, dabei gelegentlich wenden. In einer zweiten Pfanne kleingehackte Zwiebeln und Knoblauch in etwas Butter angehen lassen, Kohlrabiwürfel dazugeben, großzügig Paprikapulver und etwa 1 Esslöffel Tomatenmark zugeben, kurz durchdünsten und mit wenig Weißwein oder Brühe ablöschen, entkernte kleingeschnittene Tomate zugeben, auf kleiner Hitze garziehen lassen. Wenn die Bratwürste fertig sind (15-20 Minuten), dieselben aus der Pfanne nehmen, das ausgetretene Fett wegschütten, den Bratensaft mit ganz wenig Wasser ablöschen und unter das Kohlrabigemüse rühren. Saure Sahne auf den Tisch stellen, davon ein Löffelchen unter das Gemüse rühren und reinhauen.
Heute steigt bei Fressack die FressPublica, ein Treffen von Menschen, die sich in ihren Blogs vorwiegend oder auch – wie ich – gelegentlich mit Kochen und dem anhängenden Gedöns beschäftigen. Die meisten, ach, Quatsch, alle dieser lieben Menschen (wer gern und gut kocht, kann kein langweiliger Mensch sein) hätte ich rasend gern kennengelernt, aber mir ist wieder einmal der Beruf quer zwischen die Freizeitplanung gefahren. Bis eben musste ich heute arbeiten… jetzt tafeln sie schon ohne mich.
Statt die mitgebrachten Gustostückerl der Foodblogger zu kosten, Fressacks hessische Spezialitäten zu goutieren und eine Riesenbresche in seine legendäre Schnapskarte zu schlagen, muss ich mich mit diesem Abendbrot begnügen: Ich bitte die Unschärfe der Aufnahme zu entschuldigen, die liegt an den Tränen, die mir aus den Augen schießen, wenn ich an die fröhlich tafelnden Kollegen denke, denen ich so gern zugehört hätte. Ich grüß euch alle. Lasst es euch gutgehen, ihr habt es euch verdient.
[tags]Kochen, FressPublica, Foodblogs[/tags]
Als Kind habe ich die Bolognese meiner Mutter schätzen und lieben gelernt. Es war – wie sollte es damals in der kulinarischen Diaspora Nordhessen auch anders sein – eine simple Sauce aus Hackfleisch und Tomatenmark, vermutlich mit etwas Zwiebel und Knoblauch, und da meine Mutter eine Künstlerin im Bereich Abschmecken war, mundete diese Sauce mir ganz ausgezeichnet.
Als ich in München zu studieren begann, bekam ich jedoch eine Bolognese auf den Teller, die mir mit dem ersten Bissen klarmachte, dass die Variante meiner Mutter zwar lecker, aber keinesfalls das Maß aller Dinge war. Wenn ich mich recht entsinne, hieß der Italiener Mario (Die Siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren eine verwirrende Zeit, und in München gab es damals verwirrend viele italienische Restaurants, die alle von Marios geführt wurden). Jedenfalls. das, was dieser Mario auf seine Spaghetti kippte, hatte mit dem, was meine Mutter auf den Tisch stellte, nur den Namen gemeinsam. Und dass es ausgezeichnet schmeckte. Aber es war ein vollkommen anderes Gericht.
Nach einer Viertelstunde hatte ich Marios Bolognese verputzt und mir ein Ziel gesetzt: Das wollte ich auch kochen können. Also fragte ich Mario nach dem Rezept, und er rückte es – natürlich – nicht heraus. „Habe ich verspreche müsse Mamma, nich zu verraten. Du komme zu Mario, du essen hier Bolognese wie von Marios Mamma. Punkt. Nix zu Hause kochen!“
Klare Ansage. Also musste ich selber hinter Kniffe und Zutaten von Marios Mamma kommen. Was als Kochanfänger gar nicht so einfach war. Okay, das Speck drin war, hatte ich sofort geschmeckt. Also bei der nächstbesten Gelegenheit Speck zur Bolognese meiner Mutter gegeben… nicht schlecht. Noch nicht annähernd perfekt, aber immerhin, ein Anfang war gemacht. Das nächste Aha-Erlebnis hatte ich, als ich beim Herstellen von Semmelknödeln mit Schwammerlsauce zum ersten Mal in meinem Leben getrocknete Steinpilze verarbeitete und kostete: Die kannte auch Marios Mamma! Das nächste Puzzleteilchen war gefunden.
An meiner Kopie der Bolognese von Marios Mamma arbeitete ich jahrelang. Wie hätte ich erahnen können, dass sie auf Schweinehack verzichtete und Salsiccia Fresca in die Pfanne drückte? Erst als ich die Dinger während einer Italienreise kennenlernte, ging mir dieser Seifensieder auf.
Nach 4, 5 Jahren war ich dann fast soweit. Mittlerweile war ich von München nach Berlin gezogen, der Geschmack der Vorlage war nur noch Erinnerung, aber ich hatte nicht aufgegeben, mich durch allerlei Kochbücher gewälzt, meine Version immer wieder einem Feintuning unterzogen… sie war jetzt ganz dicht am Original. Aber eben nicht dran. Etwas fehlte noch. Eine kleine, aber entscheidende Geschmackskomponente, die meiner Bolognese die Fülle und den Körper des Originals verleihen sollte… was konnte das sein, verdammt noch mal? Ich war ratlos.
Wie fast immer in meinem Leben war es die geduldigste, beste Gemahlin von allen, die dieses Problem für mich löste. Zum Geburtstag (damals noch einer mit einer erfreulich niedrigen Zahl) schenkte sie mir die Mutter aller italienischen Kochbücher: Cucina Italiana. Das große Buch der Italienischen Küche. Accademia Italiana della Cucina (mittlerweile skandalöserweise vergriffen). Natürlich blätterte ich sofort zum Bolognese-Rezept, überflog die Zutaten, alles klar, hatte ich drin, hatte ich drin… Moooooooment. Geflügelleber. Geflügelleber! GEFLÜGELLEBER!
Noch bevor ich diese Variante ausprobiert hatte, wusste ich, dass ich am Ziel war. Die Geflügelleber war das letzte fehlende Puzzleteil, der Punkt unter dem Ausrufezeichen, das Dopingmittel, das meine Bolognese über die Ziellinie tragen würde: Ich war bei Marios Mamma angekommen.
Rezept (für 4):
1 bis 2 Zwiebeln, mindestens 2 Zehen Knoblauch, 1 Möhre, 1 Stange Sellerie, ca. 30g getrocknete Steinpilze, 350 g Hackfleisch vom Rind (nicht zu mager), 2 bis 4 Stück (je nach Größe) Salsiccia Fresca, ein Stück (50 bis 100g) mageren Räucherspeck, vorzugsweise Pancetta (auf keinen Fall deutsches Supermarkt-Bauchfleisch, das schiebt die Bolognese geschmacklich Richtung Linsensuppe), eine Handvoll Putenleber, 4 große Tomaten, ein großes Glas Chianti, ein guter halber Liter selbstgemachte Tomatensauce (Zwiebelchen und Knoblauch in Olivenöl anschwitzen, große Dose Tomaten mit Saft dazu, halbe Stunde kochen lassen, Salz, Rotwein, Pfeffer, Zucker, wenn nicht tomatig genug, mit Tomatenmark nachbessern), Salz, Pfeffer, getrocknete Chili (1 bis 2), Olivenöl, Petersilie.
Steinpilze in heißem Wasser einweichen, ausdrücken (Einweichwasser aufheben), zusammen mit dem Gemüse und dem Speck so fein wie möglich schneiden. In reichlich Olivenöl anschwitzen, dann zuerst das Hackfleisch dazugeben und anbraten, bis braun & bröselig. Währenddessen die Salsiccie entpellen, gegebenenfalls kleinschneiden und ebenfalls anbraten. Schließlich die Putenleber so fein wie möglich hacken oder durch den Fleischwolf drehen, kurz mitdünsten und dann mit einem großen Glas Chianti ablöschen. Wenn der Wein komplett verkocht ist, salzen, pfeffern, die zerbröselten Chili-Schoten und die geschälten, gehäuteten und entkernten Tomaten dazu geben und nun schöpfkellenweise erst das Pilzwasser, dann die Tomatensauce zugeben und immer wieder einköcheln lassen. Also praktisch wie ein Risotto zubereiten, bloß mit Fleisch statt Reis. Die Bolognese auf diese Weise mindestens 3 Stunden (ja, drei) köcheln bzw. einköcheln lassen. Sollte die Tomatensauce vor Ende der Schmorzeit verbraucht sein, weiteren Wein angießen. Am Schluß noch ‘ne Handvoll Petersilie unterrühren, mit passenden Nudeln vermischen und bei Tisch Olivenöl und Parmesan oder Pecorino dazu geben. Mahlzeit!
Bolognese-FAQ
Frage: Geht das nicht einfacher?
Antwort: Natürlich geht das einfacher. Es schmeckt dann aber anders. Und lange nicht so gut.
Frage: Kann ich die Bolognese auch im Schnellkochtopf machen?
Antwort: Natürlich. Wahrscheinlich wird sie dann aber anders und lange nicht so gut schmecken. Genau kann ich das nicht sagen, ich hab keinen Schnellkochtopf.
Frage: Kann man die ganze Flüssigkeit nicht in einem Schwupp zugeben und dann langsam einköcheln lassen?
Antwort: Kann man. Die Bolognese schmeckt dann aber deutlich „schmaler“, weniger körperreich. Die Sauce bekommt ein ganz anderes Fundament, wenn man die Flüssigkeit nach und nach dazu gibt. Keine Ahnung, wieso.
Frage: Ich hab ein Rezept, in dem das angebratene Fleisch mit Milch abgelöscht wird. Warum machst du das nicht?
Antwort: Hab ich einmal probiert. Sagt mir nicht so zu. Erstaunlicherweise schmeckt nach der langen Schmurgelzeit das Milchfett ziemlich deutlich vor.
Frage: Nu mal Spaß beiseite, das muss doch irgendwie schneller gehen, oder?
Antwort: Ich koch die Bolognese so seit über zwanzig Jahren. Ich koch sie nur ein, zweimal im Jahr, eben weil es so lange dauert und ich meist die Zeit nicht hab. Ich würde sie viel öfter machen, wenn ich wüsste, wie es schneller geht. Ich weiß es aber nicht.
Frage: Ich kann Leber (Speck, Pilze) überhaupt nicht ab. Was passiert, wenn ich die weglasse?
Antwort: Der Geschmack der Sauce verändert sich. Wird unrund. Wenn irgendmöglich, trotzdem mit Leber probieren. Ich hab meine Bolognese schon Leberverächtern, Steinpilzhassern und Menschen, die an Speck-Phobien leiden vorgesetzt, und alle haben Sie mit großem Genuss verspeist. Die fertige Bolognese schmeckt weder nach Leber, noch nach Steinpilzen, noch nach Speck. Das ist das Geheimnis dieser langen Schmorzeit, nach zwei Stunden verschmelzen die Aromen der verschiedenen Zutaten, und es entsteht ein ganz eigener Geschmack…
Frage: Unmöglich, in meiner Gegend an diese Salsidingsbums-Würste zu kommen. Wie ersetz ich die?
Antwort: Die sind leider nicht zu ersetzen. In allerhöchster Not kann man ein oder zwei gute (!) Thüringer aus dem Darm drücken und mit ordentlich Rosmarin als Salsiccie maskieren.