Hobbykochs Albtraum

Wie sieht der schlimmste Albtraum eines Hobbykochs aus? Vielleicht so, dass genau in dem Moment, als er nach vollendetem Stoßgebet beginnt, mit zitternden Fingern einen Strudelteig auszuziehen, die Küchentür aufgeht und Wolfram Siebeck reinkommt, um ihm zuzugucken?
Gestern ist dieser Traum genau so bei mir Wirklichkeit geworden, aber dank der Mithilfe der geduldigsten Gemahlin von allen habe ich die Nerven behalten. Und gemeinsam haben wir beim Regionalentscheid des ZEITmagazin-Kochwettbewerbs in Hamburg den zweiten Platz belegt. Wir sind stolz wie Bolle.
Sowie ich wieder etwas Blut in meinem Adrenalin habe, erzähl ich hier die ganze Geschichte von A wie „Abschicken der Bewerbung“ bis Z wie „Zur Hölle mit dem Kernöl, das Zeugs geht jetzt raus!“.

[tags]Kochen, Kochwettbewerb, Siebeck[/tags]

Gipfel des Küchenunfugs: Tomatenmesser

TomatenmesserWieder mal geht mein Blutdruck in die Höhe, weil ich hervorquellenden Auges sehen musste, dass ein grober Küchenunfug ein Comeback feiert, der an Unsinnigkeit sogar den „Küchenwecker, den man zur Pasta ins Kochwasser schmeißt“ schlägt: das Tomatenmesser!
Bei einer bekannten Supermarktkette kann man wieder Treueherzchen sammeln, und wenn man 30 beisammen hat, kann man sich unter anderem so ein schniekes Tomatenmesser mit gezackter Klinge für ganz kleines Geld (solange man nicht daran denkt, wieviel Geld man ausgegeben hat, um an die 30 Treueherzchen zukommen) anschaffen.
Nun ist das Schneiden von Tomaten mit gezackter Klinge aber ungefähr so sinnvoll, als würde man Gänseblümchen mit dem Mähdrescher pflücken wollen. Die gezackte Klinge zerreißt Haut und Fruchtfleisch, statt sie zu schneiden. Daher ist das Tomatenmesser ein sinnvolles Werkzeug, wenn man Tomatenpampe mit Hautstückchen herstellen will, ansonsten ist es ein sinnloses, überflüssiges und gemeingefährliches Ding, ein Werk des Teufels, schlimmer noch als Eierköpfer mit Digitalanzeige.
Wenn man eine reife Tomate mit dem normalen Küchenmesser nicht mehr ohne Druck schneiden kann, dann ist das Küchenmesser nicht mehr scharf genug. Punkt. So einfach ist die Welt. Ohne Tomatenmesser.

Foto von stevennl2003

[tags]Tomatenmesser, Unfug, Kochen, Ungeheuer![/tags]

Erkenntnisse aus dem Trainingslager: Strudel und der Teig dazu

Etwas Paniertes, Gesottenes, Knödel, Strudel oder Schmarren musste das Menü enthalten, das man für den diesjährigen Kochwettbewerb des ZEITmagazins einreichen konnte. Da musste ich nicht lange überlegen: Panieren tu ich höchst selten, weil ich meistens keinen Bock habe, in unserer ziemlich kleinen Küche eine Panierstrecke aufzubauen, beim gesottenen Fleisch ist man auf Gedeih und Verderb dem Fleischer ausgeliefert, bei dem man das Produkt erworben hat, Knödeln tu ich meist bei Karaoke-Wettbewerben, und weder die geduldigste Gemahlin noch ich sind große Süßmäuler… blieb der Strudel in einer herzhaften Variante, den kann man auch mit fertigem Strudelteig machen, den man ja in vorzüglicher Qualität beschaffen kann…
Doch als ich mich dann plötzlich zu den „Auserwählten“ zählen durfte, packte mich der Ehrgeiz: Ich kann mich da doch nicht hinstellen und irgendeinen Fertigteig aus der Verpackung holen, kommt gar nicht aus in die Tüte! Der Strudelteig wird selbstgemacht. Obwohl, man liest ja so allerlei, Strudelteig sei kompliziert, muss man ja hauchdünn ausziehen das Zeugs,ist wohl eine Sache für Spezialisten, die durch den Teig hindurch erstmal die Kronenzeitung lesen, bevor sie ihn backen…
Alles Quatsch. Die Zubereitung eines Strudels bzw. des dazugehörigen Teigs ist eine unkomplizierte, vollkommen idiotensichere Sache. Man nehme 300g Mehl, Prise Zucker, Prise Salz, 1 Ei, 3 Esslöffel Öl und 100 ml Wasser. Das verrührt man der Einfachheit halber mit der Küchenmaschine oder mit den Knethaken des Handrührers, bis man einen Teigklumpen hat, der sich von der Schüssel löst. Diesen Klumpen knetet man dann auf einer bemehlten Arbeitsfläche zehn Minuten lang von Hand durch, bis er schön elastisch ist und nicht mehr klebt. „Von Hand Kneten“ heißt tatsächlich ohne Maschine, und zehn Minuten lang heißt die Mitte zwischen neun und elf Minuten, nichts anderes. Nun den Teigklumpen mit Öl bestreichen (bekommt sonst eine Haut) und unter einer vorgewärmten, umgedrehten Schüssel eine halbe Stunde lang ruhen lassen.
Nun ein Strudeltuch (großes Küchenhandtuch, aufgetrennter Kissenbezug o.ä.) einmehlen, mit Küchenpapier das Öl vom Strudelklumpen tupfen und den Teig auf dem bemehlten Tuch mit dem Nudelholz auf ca. 50 mal 70 cm ausrollen. Halt so weit, wie es geht.
Nun kommt das Ausziehen. In den meisten Rezepten steht etwas von „über den Handrücken ausziehen“. Das klappt so nicht. Wenn man sich den Strudelteig einfach über die Handrücken legt und dann zieht, steht man mit ausgebreiteten Armen da und der Strudelteig liegt wieder vor einem auf dem Tisch. Es geht aber viel einfacher: Hände unter den Teig und denselben von der Mitte nach Außen mit den Fingerspitzen auseinanderziehen. Das geht bei diesem sehr elastischen Teig haste was kannste, in weniger als einer Minute hat man den Teig wirklich sehr dünn auseinandergezogen und es kann nichts schiefgehen. Selbst wenn man aus Versehen ein kleines Loch in den Teig reißt: Was soll’s? Das macht überhaupt nichts, da Strudel nebst Füllung aufgerollt werden und da mehrere Lagen Teig übereinander zu liegen kommen. Wenn der Strudel geformt ist, sind die Löcher verschwunden.
Wenn der Teig ausgezogen ist, ein Drittel des Teigs mit der Füllung bedecken und – von diesem Drittel ausgehend – den Strudel aufrollen. Auf ein Backblech verfrachten, großzügig mit Butter bepinseln und eine halbe Stunde bei 180 Grad backen, fertig.
Es ist tatsächlich so simpel, wie es sich anhört. Hätte ich geahnt, wie einfach Strudelteig geht, ich hätte schon längst begonnen, ihn selber zu machen. Wieder was gelernt.

[tags]Kochen, Strudel, Strudelteig, Ausziehen[/tags]

Erkenntnisse aus dem Trainingslager: Paprika

Paprika

Seit zwei Wochen weiß ich, dass ich am 27. April in Hamburg für ein paar äußerst illustre Tischgäste kochen darf. Logisch, dass ich dafür ein bisschen trainiere und die vorgesehenen Gerichte (die Rezepte gibt’s demnächst) ein paar Mal koche, damit auch wirklich jeder Handgriff sitzt, wenn’s drauf ankommt. Dabei sind mir – zu meinem eigenen Erstaunen – ein paar Dinge aufgefallen, die ich den Netzecken-Besuchern nicht vorenthalten möchte.
Fangen wir mit dem Paprikapulver an. Steht seit Jahren bei mir in der Küche rum, einmal Rosen (scharf), einmal edelsüß, beides wird regelmäßig bis häufig benutzt, mit Paprika kenn ich mich aus. Dachte ich. An zwei Dinge hab ich bisher überhaupt nicht gedacht:

1. Welches Pulver? Mit dem, was es im Supermarkt oder im besseren Gewürzhandel zu kaufen gibt, war ich bisher zufrieden. Aber der Zufall wollte es, dass ich vor ein paar Tagen ein ungarisches Restaurant besuchte. Und da gab’s eine leckere Fischsuppe, die ja, doch, nach Paprika schmeckte. Aber anders Paprika. Aromatischer. Voller. Milder und gleichzeitig wilder. Eben anders. Hmm. Konnte es sein, dass die ein anderes Paprikapulver verwenden?
Ich hab den Wirt gefragt. Da hatte ich wohl einen Nerv getroffen, denn der begann hoch erfreut über die verschiedenen Sorten Paprika-Pulver und wofür man sie wie verwendet zu dozieren und hörte gar nicht mehr auf… aber hallo!
Langer Rede kurzer Sinn: es gibt tatsächlich Paprika-Pulver, dass dem Supermarktzeugs haushoch überlegen ist. Steht jetzt in meinem Gewürzschrank. Direktimport. Ungarn.

2. Die  Handhabung. Bisher habe ich immer gedacht, dass man lediglich zu große Hitze meiden soll, wenn man Paprikapulver anschwitzt, weil es sonst bitter wird. Stimmt nach wie vor, aber in mehreren Rezepten habe ich den Hinweis gefunden, dass man Paprikapulver nur so kurz wie möglich anschwitzen soll, bevor man ablöscht. Hab ich ein wenig misstrauisch ausprobiert, scheint tatsächlich zu stimmen. Paprikapulver, dass vor dem Ablöschen nur ein paar Sekunden (!) in der Pfanne angeschwitzt wurde, schmeckt deutlich voller. UND dieser leicht herbe, möglicherweise muffige Beigeschmack, den Rosenpaprika manchmal hat und den ich bisher für eine typische Geschmacksnuance hielt, rührt offenbar daher, dass er zu lange angeröstet wurde. Wieder was gelernt.

[tags]Kochen, Paprika, Rosen, mild, scharf, Ungarn [/tags]

40 Zehen westwärts

Das 40-Zehen-Knoblauch-Huhn ist das bekannteste unbekannte Gericht der Welt. Beinahe jeder Mensch hat schon mal von diesem Rezept gehört, über 90 Prozent der Menschen meines Bekanntenkreises äußern sich wortreich und lautstark über dieses Gericht, ohne es je probiert zu haben: „Um Himmels willen, 40 Knoblauchzehen! Wer soll denn das essen? 40 Zehen! Kein Wunder, dass das Abendland zugrunde geht. 40 Knoblauchzehen, das ist das Ende der Zivilisation, Ragnarök steht unmittelbar bevor, 40 Zehen, um Himmelswillen!“
Wer dieses Gericht schon mal gekostete hat, sagt solch aufgeregten Unfug natürlich nicht. Dieses Huhn mit 40 Zehen (gehen übrigens auch 60, 80 oder mehr, solange das Huhn unter‘m Knoblauch noch zu sehen ist) ist eine der einfachsten Möglichkeiten, ein Huhn so zuzubereiten, dass alle Leute am Tisch die Augen verdrehen. Es riecht und schmeckt so dezent, dass selbst vorbeilaufende Knoblauchverächter nicht merken, was da im Schmortopf brutzelt und – wenn man sich zusammenreißt und nicht mehr als 4 bis 5 Zehen ist – strahlt man selbst am nächsten Tag auch nicht den berüchtigten Knoblauchdunst aus.
Huhn
Man benötigt ein Huhn von anständiger Qualität, ich kaufe immer die Viecher aus der Loué, die haben eine mehr als anständige Qualität. Es muss nicht unbedingt die Bioqualität sein, aber der 1,8-Kilo-Kawenzmann im Foto war vom Stamme Bio. Nicht billig, aber jeden Cent wert. Dazu braucht man noch die erwähnten 40 Knoblauchzehen (gerne mehr, wie gesagt), am besten geschält. Es gibt Varianten des Gerichts, da werden sie ungeschält dazu gegeben. Ist natürlich eine feine Sache für Faulpelze wie mich, aber ich finde es furchtbar umständlich, die Dinger auf dem Teller aus ihren Schalen zu pulen, die dann im leckeren Bratensaft rumschwimmen. Nö. Muss nicht sein. Lieber vorher schälen. Zehen vor sich ausbreiten, einmal kurz mit dem Messer oder dem Handballen draufdrücken, bis es knackt, dann flutschen sie meistens problemlos aus der Schale, und die 40 Dinger hat man dann in zehn Minuten gepellt.
Huhn bratfertig vorbereiten, innen und außen pfeffern und salzen, bißchen Zitronensaft bißchen Thymian ins Hühnerinnere geben. Olivenöl in den schweren Schmortopf auf mittlere Hitze bringen und das Huhn langsam von allen Seiten anbraten. Anbraten heißt, dass es eine schöne braune Farbe bekommen soll (nicht schwarzer Kreis im weißen Feld) und langsam heißt, dass diese Prozedur sich ca. zwanzig Minuten lang hinziehen sollte.
Huhn kurz raus aus dem Topf, Fett abgießen, die 40 Knoblauchzehen anschwitzen, mit einem Schuss Weißwein (soll nur ganz wenig Flüssigkeit im Topf stehen) ablöschen, Huhn wieder in den Topf, dicht schließenden Deckel drauf und ab in den Ofen der so 140, 160 Grad (Gas 3) haben sollte. Wenn‘s im Topf braust oder brodelt, ist dem Huhn zu heiß! Nach 30, 40, 50 Minuten im Ofen (je nach Größe des Huhns) nimmt man den Deckel ab, lässt noch eine Viertelstunde bräunen und das war‘s. Das Huhn sollte jetzt in etwas so wie auf dem Bild aussehen. Dann läßt man es noch zehn Minuten ausruhen, bevor man es tranchiert.
Knoblauch
Und das, was noch im Topf ist, dieses unglaubliche Konglomerat aus Olivenöl, Wein, Hühnerfond, Zitronensaft und Knoblauch, das füllt man in eine Sauciere und stellt sie auf dem Tisch möglichst weit weg von mir. Weil ich sonst vom Huhn nix nehme und die Zehen alleine aufesse (Hab ich tatsächlich mal gemacht. Hatte dann ziemlichen Durst, hab nicht sonderlich gut geschlafen und am nächsten Tag ein neues Kapitel in der Geschichte des Körpergeruchs geschrieben).
Mehr ist nicht. Das einzige Problem dieses sensationellen Essens: es passt keine Beilage. Deshalb vorher einen Salat o.ä. reichen und dann das Huhn, wie es ist, mit dem Knoblauch, und nur ein bißchen Baguette dazu. Man glaubt, man ist im Paradies. Und – wie gesagt – man riecht hinterher nicht. Wenn man sich zusammenreisst. Aber wer tut das schon?

[tags]Kochen, Huhn, Knoblauch, reines Manna[/tags]

Tschüß, Siebeck!

Zu Wolfram Siebeck habe ich immer aufgeblickt. Ich bewunderte den galligen Humor, mit dem er seine Gastro-Kritiken schrieb und den Deutschen wegen ihrer „Plumpsküche“ (herrliche Wortschöpfung) nimmermüde die Leviten las. Mein allererstes selbstgekauftes Kochbuch war von ihm, die Kochschule für Anspruchsvolle, und jahrelang hab ich die Zeit nur wegen Siebeck (und dem Kreuzworträtsel) gekauft. Insbesondere Siebecks Sommerseminare waren früher (80er/90er Jahre) echte Koch-Kracher. Solide und vor allen Dingen einfach zu kochende Gerichte, die gar nicht schief gehen konnten, wenn man beim Einkauf auf die Qualität der Produkte achtete. Ein paar von den Rezepten koche ich heute noch regelmäßig.
Aber wenn ich mir angucke, was Siebeck in seinem derzeitigen Sommerseminar in der Zeit verzapft, dreht sich mir das Hechtklößchen im Magen um: Der Altmeister betreibt lustlosen Etikettenschwindel, wenn er behauptet, die „Geheimnisse der einfachen Küche“ zu verraten. Was soll denn an einer Vinaigrette aus Essig, Olivenöl, Salz, Pfeffer und Senf geheimnisvoll sein? Wo ist bei einem Kartoffelpüree aus weichgekochten Kartoffeln, Milch, Butter und Muskatnuss der Trick, der diese bodenständige Beilage zur Delikatesse adelt? Auch die geheime Zutat zu seiner unvergleichlichen Hühnerbrühe verschweigt Siebeck: Einfach ein Suppenhuhn mit Suppengemüse stundenlang kochen genügt, behauptet der vermeintliche Geheimnisträger.
Was ein Jammer! Denn gerade in der einfachen Küche gibt es immer wieder wahre Schätze zu heben. Auf einen solchen bin ich unlängst bei den Rezepten von Frau Kaltmamsell gestoßen, die diese makellose Perle von Ihrer Tante hat: Ordentlich Olivenöl in den Topf, Knoblauch, Dose kleingeschredderte Pelati und etwas Rosmarin dazu, einköcheln lassen, salzen und pfeffern, dann pro Nase eine Scheibe Rindsroulade dazu, eine Stunde sachte köcheln lassen, paar Streifen rote Paprikaschote dazu, noch 5 Minuten weiterköcheln und fertig. Bei der verehrten Frau Tante gibt’s Reis dazu, ich hab beim ersten Versuch gebratenen grünen Spargel gemacht, geht auch. Geknofelter Blattspinat ist ebenfalls keine schlechte Idee.

Rouladenscheiben in Tomatensauce

Total simpel, aber trotzdem ganz großes Tennis. Wie der frühe Siebeck. Ach ja.

[tags]Siebeck, Kaltmamsell, Tante, Kochen, italienisch, Rindfleisch, Tomate[/tags]

Der Bratwurstritter

Von einer ganz, ganz großen Delikatesse ist die Rede: von der Bratwurst. Bevor ich jetzt zum Wahnsinnigen erklärt werde: mit Bratwurst meine ich natürlich nicht das, was in 99 Prozent alles Imbissbuden des deutschsprachigen Raums als „Bratwurst“ bezeichnet wird. Ein Verwendungszweck für diese fett-triefenden Holzkohlen-Brennstäbe, die dort verkauft werden, muss noch gefunden werden, denn Essen kann man derlei Zeugs sicherlich nicht, es sei denn, man erwägt die Eröffnung einer eigenen Sodbrennerei oder möchte seinen Gaumen mal wieder so richtig abhärten.
Insbesondere Berlin konnte ich bis vor wenigen Tagen nur als Bratwurst-Diaspora bezeichnen. Das, was in den Vitrinen selbst renommierter Berliner Fleischer lag und liegt, treibt jemandem, der mit den unvergleichlichen frischen, ungebrühten Bratwürsten Nordhessens großgeworden ist und seine erste solche auf einem traditionellen Schlachtekohl angemessen bekam, Tränen des Zorns und der Verzweiflung in die Augen. Doch damit ist jetzt Schluss.
Ein Ritter in schimmernder Rüstung hat die Berliner Wurst-Dämonen besiegt und bietet jetzt Berlins beste Bratwurst an, und zwar so, wie es sich für eine richtige Bratwurst gehört: frisch, grob und ungebrüht. Der Mann hinter der Wurst ist natürlich niemand anderes als der hier in der Netzecke schon mehrfach mit Ehrfurcht erwähnte Fleischer Marcus Benser, der Neuköllner Protein-Papst, den viele wegen seiner mehrfach preisgekrönten Hausspezialität auch als Blutwurstritter kennen. Nun, ab sofort ist er auch noch der Bratwurstritter, denn das, was da als „frische, ungebrühte Bratwurst“ bei ihm über den Tresen geht, ist schlicht und einfach eine der größten Delikatessen, die man für kleiens Geld in Berlin zu kaufen bekommt.
Mir schmeckt die ritterliche Bratleiste zur Zeit mit einer Art burgenländischem Kohlrabigemüse am besten, das ich mit dem Bratensatz der Bratwurst auf Höchstleistung tune.

Pro Nase 2 grobe, ungebrühte Bratwürste, 2 kleine oder 1 großen Kohlrabi, geschält und gewürfelt, 1 kleine Zwiebel, 1 Knoblauchzehe, Tomatenmark, Paprikapulver (scharf und/oder edelsüß, nach Gusto), 1 Tomate, etwas Weißwein, 1 Esslöffel saure Sahne.
Die Bratwürste einstechen, eine Eisenpfanne auf mittlere Hitze bringen und die Bratwürste einlegen. Langsam (!) gar braten, dabei gelegentlich wenden. In einer zweiten Pfanne kleingehackte Zwiebeln und Knoblauch in etwas Butter angehen lassen, Kohlrabiwürfel dazugeben, großzügig Paprikapulver und etwa 1 Esslöffel Tomatenmark zugeben, kurz durchdünsten und mit wenig Weißwein oder Brühe ablöschen, entkernte kleingeschnittene Tomate zugeben, auf kleiner Hitze garziehen lassen. Wenn die Bratwürste fertig sind (15-20 Minuten), dieselben aus der Pfanne nehmen, das ausgetretene Fett wegschütten, den Bratensaft mit ganz wenig Wasser ablöschen und unter das Kohlrabigemüse rühren. Saure Sahne auf den Tisch stellen, davon ein Löffelchen unter das Gemüse rühren und reinhauen.

Bratwurst mit Kohlrabi

Mahlzeit!

[tags]Bratwurst, frisch, Benser, Kochen[/tags]

Fress leider nur Privatica

Heute steigt bei Fressack die FressPublica, ein Treffen von Menschen, die sich in ihren Blogs vorwiegend oder auch – wie ich – gelegentlich mit Kochen und dem anhängenden Gedöns beschäftigen. Die meisten, ach, Quatsch, alle dieser lieben Menschen (wer gern und gut kocht, kann kein langweiliger Mensch sein) hätte ich rasend gern kennengelernt, aber mir ist wieder einmal der Beruf quer zwischen die Freizeitplanung gefahren. Bis eben musste ich heute arbeiten… jetzt tafeln sie schon ohne mich.
Statt die mitgebrachten  Gustostückerl der Foodblogger zu kosten, Fressacks hessische Spezialitäten zu goutieren und eine Riesenbresche in seine legendäre Schnapskarte zu schlagen, muss ich mich mit diesem Abendbrot begnügen:
Mein AbendessenIch bitte die Unschärfe der Aufnahme zu entschuldigen, die liegt an den Tränen, die mir aus den Augen schießen, wenn ich an die fröhlich tafelnden Kollegen denke, denen ich so gern zugehört hätte. Ich grüß euch alle. Lasst es euch gutgehen, ihr habt es euch verdient.
[tags]Kochen, FressPublica, Foodblogs[/tags]

Die Bolognese von Marios Mamma – Geschichte, Rezept und FAQ

Als Kind habe ich die Bolognese meiner Mutter schätzen und lieben gelernt. Es war – wie sollte es damals in der kulinarischen Diaspora Nordhessen auch anders sein – eine simple Sauce aus Hackfleisch und Tomatenmark, vermutlich mit etwas Zwiebel und Knoblauch, und da meine Mutter eine Künstlerin im Bereich Abschmecken war, mundete diese Sauce mir ganz ausgezeichnet.
Als ich in München zu studieren begann, bekam ich jedoch eine Bolognese auf den Teller, die mir mit dem ersten Bissen klarmachte, dass die Variante meiner Mutter zwar lecker, aber keinesfalls das Maß aller Dinge war. Wenn ich mich recht entsinne, hieß der Italiener Mario (Die Siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren eine verwirrende Zeit, und in München gab es damals verwirrend viele italienische Restaurants, die alle von Marios geführt wurden). Jedenfalls. das, was dieser Mario auf seine Spaghetti kippte, hatte mit dem, was meine Mutter auf den Tisch stellte, nur den Namen gemeinsam. Und dass es ausgezeichnet schmeckte. Aber es war ein vollkommen anderes Gericht.
Nach einer Viertelstunde hatte ich Marios Bolognese verputzt und mir ein Ziel gesetzt: Das wollte ich auch kochen können. Also fragte ich Mario nach dem Rezept, und er rückte es – natürlich – nicht heraus. „Habe ich verspreche müsse Mamma, nich zu verraten. Du komme zu Mario, du essen hier Bolognese wie von Marios Mamma. Punkt. Nix zu Hause kochen!“
Klare Ansage. Also musste ich selber hinter Kniffe und Zutaten von Marios Mamma kommen. Was als Kochanfänger gar nicht so einfach war. Okay, das Speck drin war, hatte ich sofort geschmeckt. Also bei der nächstbesten Gelegenheit Speck zur Bolognese meiner Mutter gegeben… nicht schlecht. Noch nicht annähernd perfekt, aber immerhin, ein Anfang war gemacht. Das nächste Aha-Erlebnis hatte ich, als ich beim Herstellen von Semmelknödeln mit Schwammerlsauce zum ersten Mal in meinem Leben getrocknete Steinpilze verarbeitete und kostete: Die kannte auch Marios Mamma! Das nächste Puzzleteilchen war gefunden.
An meiner Kopie der Bolognese von Marios Mamma arbeitete ich jahrelang. Wie hätte ich erahnen können, dass sie auf Schweinehack verzichtete und Salsiccia Fresca in die Pfanne drückte? Erst als ich die Dinger während einer Italienreise kennenlernte, ging mir dieser Seifensieder auf.
Nach 4, 5 Jahren war ich dann fast soweit. Mittlerweile war ich von München nach Berlin gezogen, der Geschmack der Vorlage war nur noch Erinnerung, aber ich hatte nicht aufgegeben, mich durch allerlei Kochbücher gewälzt, meine Version immer wieder einem Feintuning unterzogen… sie war jetzt ganz dicht am Original. Aber eben nicht dran. Etwas fehlte noch. Eine kleine, aber entscheidende Geschmackskomponente, die meiner Bolognese die Fülle und den Körper des Originals verleihen sollte… was konnte das sein, verdammt noch mal? Ich war ratlos.
Wie fast immer in meinem Leben war es die geduldigste, beste Gemahlin von allen, die dieses Problem für mich löste. Zum Geburtstag (damals noch einer mit einer erfreulich niedrigen Zahl) schenkte sie mir die Mutter aller italienischen Kochbücher: Cucina Italiana. Das große Buch der Italienischen Küche. Accademia Italiana della Cucina (mittlerweile skandalöserweise vergriffen). Natürlich blätterte ich sofort zum Bolognese-Rezept, überflog die Zutaten, alles klar, hatte ich drin, hatte ich drin… Moooooooment. Geflügelleber. Geflügelleber! GEFLÜGELLEBER!
Noch bevor ich diese Variante ausprobiert hatte, wusste ich, dass ich am Ziel war. Die Geflügelleber war das letzte fehlende Puzzleteil, der Punkt unter dem Ausrufezeichen, das Dopingmittel, das meine Bolognese über die Ziellinie tragen würde: Ich war bei Marios Mamma angekommen.

halb fertig

Rezept (für 4):

1 bis 2 Zwiebeln, mindestens 2 Zehen Knoblauch, 1 Möhre, 1 Stange Sellerie, ca. 30g getrocknete Steinpilze, 350 g Hackfleisch vom Rind (nicht zu mager), 2 bis 4 Stück (je nach Größe) Salsiccia Fresca, ein Stück (50 bis 100g) mageren Räucherspeck, vorzugsweise Pancetta (auf keinen Fall deutsches Supermarkt-Bauchfleisch, das schiebt die Bolognese geschmacklich Richtung Linsensuppe), eine Handvoll Putenleber, 4 große Tomaten, ein großes Glas Chianti, ein guter halber Liter selbstgemachte Tomatensauce (Zwiebelchen und Knoblauch in Olivenöl anschwitzen, große Dose Tomaten mit Saft dazu, halbe Stunde kochen lassen, Salz, Rotwein, Pfeffer, Zucker, wenn nicht tomatig genug, mit Tomatenmark nachbessern), Salz, Pfeffer, getrocknete Chili (1 bis 2), Olivenöl, Petersilie.

Steinpilze in heißem Wasser einweichen, ausdrücken (Einweichwasser aufheben), zusammen mit dem Gemüse und dem Speck so fein wie möglich schneiden. In reichlich Olivenöl anschwitzen, dann zuerst das Hackfleisch dazugeben und anbraten, bis braun & bröselig. Währenddessen die Salsiccie entpellen, gegebenenfalls kleinschneiden und ebenfalls anbraten. Schließlich die Putenleber so fein wie möglich hacken oder durch den Fleischwolf drehen, kurz mitdünsten und dann mit einem großen Glas Chianti ablöschen. Wenn der Wein komplett verkocht ist, salzen, pfeffern, die zerbröselten Chili-Schoten und die geschälten, gehäuteten und entkernten Tomaten dazu geben und nun schöpfkellenweise erst das Pilzwasser, dann die Tomatensauce zugeben und immer wieder einköcheln lassen. Also praktisch wie ein Risotto zubereiten, bloß mit Fleisch statt Reis. Die Bolognese auf diese Weise mindestens 3 Stunden (ja, drei) köcheln bzw. einköcheln lassen. Sollte die Tomatensauce vor Ende der Schmorzeit verbraucht sein, weiteren Wein angießen. Am Schluß noch ‘ne Handvoll Petersilie unterrühren, mit passenden Nudeln vermischen und bei Tisch Olivenöl und Parmesan oder Pecorino dazu geben. Mahlzeit!

Fertig

Bolognese-FAQ

Frage: Geht das nicht einfacher?
Antwort: Natürlich geht das einfacher. Es schmeckt dann aber anders. Und lange nicht so gut.

Frage: Kann ich die Bolognese auch im Schnellkochtopf machen?
Antwort: Natürlich. Wahrscheinlich wird sie dann aber anders und lange nicht so gut schmecken. Genau kann ich das nicht sagen, ich hab keinen Schnellkochtopf.

Frage: Kann man die ganze Flüssigkeit nicht in einem Schwupp zugeben und dann langsam einköcheln lassen?
Antwort: Kann man. Die Bolognese schmeckt dann aber deutlich „schmaler“, weniger körperreich. Die Sauce bekommt ein ganz anderes Fundament, wenn man die Flüssigkeit nach und nach dazu gibt. Keine Ahnung, wieso.

Frage: Ich hab ein Rezept, in dem das angebratene Fleisch mit Milch abgelöscht wird. Warum machst du das nicht?
Antwort: Hab ich einmal probiert. Sagt mir nicht so zu. Erstaunlicherweise schmeckt nach der langen Schmurgelzeit das Milchfett ziemlich deutlich vor.

Frage: Nu mal Spaß beiseite, das muss doch irgendwie schneller gehen, oder?
Antwort: Ich koch die Bolognese so seit über zwanzig Jahren. Ich koch sie nur ein, zweimal im Jahr, eben weil es so lange dauert und ich meist die Zeit nicht hab. Ich würde sie viel öfter machen, wenn ich wüsste, wie es schneller geht. Ich weiß es aber nicht.

Frage: Ich kann Leber (Speck, Pilze) überhaupt nicht ab. Was passiert, wenn ich die weglasse?
Antwort: Der Geschmack der Sauce verändert sich. Wird unrund. Wenn irgendmöglich, trotzdem mit Leber probieren. Ich hab meine Bolognese schon Leberverächtern, Steinpilzhassern und Menschen, die an Speck-Phobien leiden vorgesetzt, und alle haben Sie mit großem Genuss verspeist. Die fertige Bolognese schmeckt weder nach Leber, noch nach Steinpilzen, noch nach Speck. Das ist das Geheimnis dieser langen Schmorzeit, nach zwei Stunden verschmelzen die Aromen der verschiedenen Zutaten, und es entsteht ein ganz eigener Geschmack…

Frage: Unmöglich, in meiner Gegend an diese Salsidingsbums-Würste zu kommen. Wie ersetz ich die?
Antwort: Die sind leider nicht zu ersetzen. In allerhöchster Not kann man ein oder zwei gute (!) Thüringer aus dem Darm drücken und mit ordentlich Rosmarin als Salsiccie maskieren.

In der Schüssel

[tags]Kochen, Italien, Bolognese, Pasta[/tags]