Die Ausnahme

Ja, ich hab ihn noch spielen sehen, diesen vornehmen, weißhaarigen Herren, der Distinktion aus jedem Knopfloch ausstrahlt, wenn er zum Mikrofon greift, und entweder unglaublich kluge Sachen oder den größten Larifari hinein redet.
Bevor ich ihn zum ersten Mal im Stadion spielen sah, hatte ich ihn schon unzählige Male im Fernsehen gesehen. Trotzdem blieb mir bei seinem ersten Antritt die Luft weg. Um Himmels willen, war der Kerl schnell! Den meisten Bundesliga-Spielern konnte er mit dem Ball am Fuß einfach davon laufen. Und die, die selber den Ball führten, hat er mühelos eingeholt. Er war schon dreißig, als ich ihn zum ersten Mal spielen sah. Aber einen schnelleren hatte ich nie gesehen.
Und irgendwas besonderes war an seiner Art, den Ball zu führen, zu dribbeln, sich umzuschauen… irgendwas machte er anders als alle anderen Spieler auf dem Platz. Irgendetwas war äußerst speziell… nur was? Kurz vor Schluß der ersten Partie, die ich mit ihm sah, wurde es mir klar und als es mir klar wurde, mußte ich erst mal tief durchatmen. Der guckte ja gar nicht auf den Ball!
Jeder andere Spieler, jeder normale Spieler (er war damals alles mögliche, aber kein normaler Spieler) guckte im Sekundentakt nach unten, vor seine Füße, um sich zu vergewissern, wo der Ball gerade war. Er nicht. Er lief… nein, er lief nicht, er war schneller, er rannte… Quatsch, für einen Renner waren seine Bewegungen viel zu elegant, auch wenn er sauschnell war, er rannte nicht, er eilte, genau, er eilte hoch erhobenen Hauptes über den Platz, während seine Augen den günstigst postierten Mitspieler suchten und die Formation des Gegners überblickten, und beinahe niemals hat er den Blick senken müssen. Der Ball war sein Freund. Er wußte, wo der Ball war. Da mußte er nicht nachgucken.
Dann war da die Handbewegung. Wenn ein Mitspieler den Ball versemmelt hatte, den er ihm gerade zentimetergenau in den Fuß gespielt hatte. Wenn einer der Manndecker sich mit einem Oma-Trick hatte düpieren lassen, so dass er selbst eingreifen musste, wenn irgendeiner der Stolperbrüder, mit denen er gezwungenermaßen zusammen spielen musste, sich mal wieder beim kleinen Fußball-Einmaleins verrechnet hatte, dann machte er diese kleine, wegwerfende Geste mit der Hand. Als wollte er sagen „Vergeßt den Blödmann, der lernt’s eh nie.“ Seine Mitspieler pflegten die Geste mit zusammengebissenen Zähnen zu erdulden. Nur der Torwart soll ihm einmal „Wenn du diese Handbewegung noch einmal machst, falle ich vor allen Leuten auf die Knie und bete dich an!“ zugerufen haben.
Tja, und dann diese weiten, das Spiel öffnenden Pässe. Wenn man den ersten dieser Pässe gesehen hat, hielt man die Luft an. Das waren unglaubliche Dinger, die er da aus dem Fußgelenk raushaute. Ja, aus dem Fußgelenk. Jeder andere hätte sich den Ball vorlegen und mit dem Schußbein ziemlich weit ausholen müssen, um den Ball 40, 50 oder 60 Meter nach vorne zu spielen. Er konnte eine solche Länge mit einem lässigen Schnickser aus dem Fußgelenk erreichen, und allein diese Fähigkeit wäre atemberaubend gewesen, wenn da nicht noch die unglaubliche Präzision dieser Pässe gewesen wäre. Er konnte diese Pässe so präzise timen, dass der Adressat des Balls einfach in dem Moment blind losspurten konnte, wenn der Schnickser aus dem Fußgelenk kam. Er wußte, dass er den Ball problemlos würde mitnehmen können, weil er ihm im vollen Lauf im richtigen Moment vor den richtigen Fuß fallen würde. Ja, es waren solche Pässe. Man gewöhnte sich nicht an sie. Man staunte immer wieder, wenn er so ein Ding raushaute.
Er selber wußte übrigens im Moment, da der Pass seinen Rist verlassen hatte, ob der gelungen war oder nicht. Wenn er stehen blieb, dann war es ein guter Paß. Der würde zentimetergenau auf dem Fuß des anvisierten Mitspielers landen, der dann das seine mit diesem ihm in prachtvollster Weise dargebrachten Ball machen mußte. Das weitere lag nicht mehr in seiner Verantwortung. Das tat es aber sehr wohl, wenn ihm der Paß einmal – was selten, aber doch gelegentlich geschah – mißlang. Dann setzte er sofort dem eigenen Ball nach, weil er wußte, dass die Chance bestand, dass er zurückkommen könnte. Und da er auf dem Feld grundsätzlich eher Stratege denn Taktiker war, versuchte er fast immer, Gefahren bereits im Keime, das heißt in der Nähe der Mittellinie zu ersticken. Auch wenn er selbst nur allzu deutlich wußte, dass er der unbestritten beste letzte Mann der Fußballgeschichte war und vermutlich bleiben würde, er wußte um das Risiko letzter Mann zu sein und vermied es, wenn es irgend möglich war. Er wollte nicht brillieren, weil er nicht brillieren mußte: Wenn man ihn und die anderen einundzwanzig spielen sah, merkte auch der Uneingeweihte in Sekundenbruchteilen, wer der beste Spieler auf dem Platz war.
Der beste? Nein, das trifft es nicht ganz. Er war die Ausnahme. So hab ich ihn gesehen. So hat er gespielt, der Franz.

 

Best der Beste?

Er hat zu einer Zeit gespielt, als „internationaler Fußball“ nur als schwarzweiße Sekundenschnipsel in Sportschau oder Sportreportage vorkamen. Da er in Nord-Irland geboren war, konnte er auch nie bei einer Welt- oder Europameisterschaft brillieren. Trotzdem hatte er Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts einen gewaltigen Ruf bei uns fußballbegeisterten Jungen. Begierig durchforsteten wir täglich den Sportteil der Tageszeitung und natürlich den kicker nach Meldungen über George Best, den pfeilschnellen ManU-Außen, dem der Ball am Fuß klebte und der ganze Abwehrreihen auf einem Bierdeckel austanzen konnte. Obwohl wir ihn kaum jemals zu Gesicht bekommen hatten, wussten wir, dass Best ein absoluter Ausnahmekönner sein musste.
Und dann lief im Fernsehen ein anderthalbstündiger Film über George Best: „Fußball wie noch nie!“ Bei einem Spiel Manchester United gegen Coventry waren die Kameras ausschließlich auf George Best gerichtet worden. Endlich würden wir ausführlich sehen können, warum Pelé (ja, der gottgleiche Pelé!) Best zum „greatest footballer in the world“ erklärt hatte. Kaum hatte die Hörzu diesen Sensationsfilm angekündigt, zählten wir die Stunden und Minuten bis zum Sendetermin.
Und als der endlich da war… Ach du Scheiße. Es war nicht Fußball, es war Filmkunst. Das war wohl der Nebeneffekt, wenn man bei einem Fußballspiel nur einen Spieler mit der Kamera verfolgt: Da Fußball ein Mannschaftssport ist, bekam man im Film vom Spiel selbst ziemlich wenig mit. Was dem Film auch nicht sonderlich gut tat, war, dass George die gesamte erste Halbzeit offenbar als Auszeit betrachtete und dieselbe durch entschiedenes Rumstehen hinter sich brachte.
Die meisten von uns hatten schon nach einer halben Stunde ab- oder umgeschaltet. Was vielleicht ein Fehler war. In der zweiten Halbzeit wachte Best auf, bereitete ein Tor vor und machte selber eins. Unglaublich enge Ballführung, ein Wahnsinnsantritt, extrem eleganter Stil… aber der Beste? Am nächsten Tag waren wir uns auf dem Schulhof einig: Pelé hatte in seiner sprichwörtlichen Bescheidenheit nicht sagen wollen, dass er selbst der größte Fußballer aller Zeiten war und hatte daher den nächstbesten Spieler genannt, der ihm eingefallen ist. Also George, den nächstBesten.
Aber dann kamen im Fernsehen gelegentlich Schnipsel wie dieser.

[youtube]U2HWUbFGHMU[/youtube]

Die reinste Strafraumpoesie. Vielleicht hatte Pelé ja doch recht.

[tags]Best, Fussball, Soccer, Poesie[/tags]

Rauchfrei

Heute vor fünf Jahren hab ich mir meine letzte Zigarette angesteckt, seit dem 9. April 2002 bin ich sauber geblieben. Ich hab 30 Jahre lang gern geraucht, aber jetzt bin ich seit fünf Jahren froh, das nicht mehr tun zu müssen. Schön, dass das geklappt hat. Und wenn jemand wissen will, wie ich damals die Vollbremsung geschafft hab, muss er nur nachfragen. Dann schreib ich gern ein paar Artikel drüber. Aber von alleine mag ich nicht rummissionieren. Alldieweil ich mir nämlich geschworen hab, ein toleranter Nichtraucher zu werden. Und das hat bisher auch geklappt.

[tags]Nikotin, Rauchfrei, Zigarette[/tags]

Hymne

Der krönende Abschluß der Folk-Wochen (ab morgen werde ich das musikalische Spektrum etwas erweitern). Eine ungewöhnliche Version meines Lieblingssongs von David Crosby, dem meiner bescheidenen Meinung nach größten Singer/Songwriter seiner Generation.

So, ich verbessere das jetzt mal, weil die paar durchgestrichenen, schnell hingehauenen Zeilen der Sache natürlich nicht gerecht werden konnten. „Almost cut my hair“ ist für mich DER Song, der die auslaufenden sechziger und beginnenden siebziger Jahre schmerzhaft selbstkritisch beschreibt und verdichtet. Eine unglaublich präzise Momentaufnahme einer Generation, die sich – aus welchen Gründen auch immer – zwischen alle möglichen Stühle setzt und das grandiose Scheitern an sich selbst zur Kunstform erklärt. Niemand hat das so wunderschön und gleichzeitig schmerzlich wahr ausdrücken können wie der unvergleichliche David Crosby, dem wir noch andere Meisterwerke wie „Triad“, „Delta“ oder „Guinnevere“ verdanken, über die irgendwann noch zu sprechen sein wird. Und natürlich „Wooden Ships“. Und…

[youtube]TSNLc8-gYtA[/youtube]

Almost cut my hair
It happened just the other day
It’s gettin kinda long
I coulda said it wasn’t in my way
But I didn’t and I wonder why
I feel like letting my freak flag fly
Cause I feel like I owe it to someone

Must be because I had the flu‘ for Christmas
And I’m not feeling up to par
It increases my paranoia
Like looking at my mirror and seeing a scar
But I’m not giving in an inch to fear
Cause I missed myself this year
I feel like I owe it to someone

When I finally get myself together
I’m going to get down in that sunny southern weather
And I find a place inside to laugh
Separate the wheat from the chaff
I feel like I owe it to someone

[tags]Crosby, Hero[/tags]

Danny Boy

Die Folkwoche in der Netzecke strebt ihrem Höhepunkt entgegen. Und da der Netzecken-Betreiber eine gewisse Irland-Affinität nicht verleugnen kann oder will, muss früher oder später „Danny Boy“ kommen, der Song, den sich die Besucher eines Irish Pubs spätestens nach dem 3. Guinness von der Live Band wünschen. Was irgendwie originell ist. Weil die Lyrics von einem Engländer stammen, der sie auf „Londonderry Air“ geschrieben hat. Hier steht die ganze Geschichte.
Aber genug gebeckmessert. „Danny Boy“ ist einfach ein steinstarker Song. Besonders, wenn die Weltmeister des irischen Liedguts ihn interpretieren, die Wolfetones:

[youtube]NJp0XwWpTqA[/youtube]

Slainte!

[tags]Wolfetones, Folk, Irland[/tags]

Ed’s Lieblingslied

Der nächste Beitrag in der Netzecken-Folkwoche. Dieser Song wurde in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der „Schwabinger 7“ – einem Lokal für die weniger subtilen Nächte dieses Lebens – mehrmals am Abend gespielt. Es war das Lieblingslied von Ed, dem coolsten Kellner aller Zeiten. Ed hatte mal einen vom Kingston Trio kennengelernt, der ihm die Single mit „Greenback Dollar“ geschenkt hat. Und diese Single hat Ed einmal mit in die 7 gebracht und den Stammgästen vorgespielt. Uns hat’s gefallen. Wir wollten den Song immer wieder hören. Manchmal zehnmal am Abend. Manchmal auch öfters. Bis eines Abends ein Stammgast, der sonst den ganzen Abend lang katatonisch in sein Bier zu starren pflegte, über den Tresen flankte, die kostbare Single in zwei Teile zerbrach und sich mit den Worten „Ich kann’s nicht mehr hören!“ wieder vor sein Bier setzte.
Natürlich gab’s sofort ein Hausverbot, dass – wie damals üblich – am nächsten Abend schon wieder vergessen war. Am nächsten Abend war auch eine neue „Greenback Dollar“-Single da. Die 7 ohne „Greenback Dollar“ ging damals gar nicht. Seitdem lässt mich der Song nicht los. Durfte jetzt so an die dreißig Jahre her sein, dass ich das letzte Mal in der 7 war. Aber wenn ich den Song höre, dann sähe ich sie alle wieder vor mir. Heinz, den Manila… und natürlich Ed.

[youtube]A9Jh4KjPP-o[/youtube]

[tags]Folk, Kingston Trio, Schwabing, Kneipe[/tags]

Nuhr Alzheimer, sonst nix …

Während wir uns auf 3sat die Übertragung von der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises anschauten, entspann sich zwischen der geduldigsten Gemahlin von allen (GGA) und mir folgender bedeutungsvolle, aussagekräftige Dialog:

GGA: Wer ist der Moderator, den mag ich so gern?
Ich: Ich glaub, das ist Dieter Nuhr.
GGA: Ach, das ist Dieter Nuhr?
Ich: Ja. Wenn es nicht der ist, den ich ständig mit Dieter Nuhr verwechsel.
GGA: Und wer ist das?
Ich: Wenn ich das wüßte, würde ich ihn nicht ständig mit Dieter Nuhr verwechseln.
GGA: (auf den Fernseher deutend) Aber das ist Dieter Nuhr?
Ich: Ja. Nein. Ich weiß nicht.
Pause.
Ich: (nach demütigendem Nachschlagen in der Programmzeitschrift) Ja. Das ist Dieter Nuhr.

[tags]Nuhr, Ungeheuer[/tags]

Sonst noch alles frisch, SPIEGEL-Online?

Ganz unten in Dubai: Das wundersame Schicksal eines deutschen Glücksritters – Panorama – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten:
Und: „Ich hätte eine Auslandskrankenversicherung abschließen sollen. Gibt es für 25 Euro beim…“

Ja, und dann stand da bei SPON tatsächlich „DerGrößteDeutschenAutomobilClub“. Als Schlußpointe einer Story über einen Geschäftsmann, der in Dubai einen Herzinfarkt erlitten hatte, in eine Privatklinik eingeliefert worden war und in existenzielle Nöte geriet, weil er die Rechnung nicht bezahlen konnte. Und mit der Auslandskrankenversicherung vom „GrößtenDeutschenAutomobilClub“ wäre das nicht passiert.
Äh… geht’s noch? Was war das nochmal für ein Fass, dass ihr anlässlich Schleichwerbung/Product Placement bei der ARD aufgemacht habt? Und was soll ich von der Veröffentlichung dieser Story halten? Bloß dumm gelaufen wg. üblicher redaktioneller Schlamperei? Riesen-Chuzpe? „Was die von der BILD können, können wir schon lange?“ Oder ist das ein Versuchsballon, um neuartige Methoden zur Finanzierung eines Gratis-Online-Angebots auszuloten?