Versager!

Mensch, SPIEGEL ONLINE, ihr schreibt ja genauso aktuell, fachlich und kritisch wie sonst nur der kicker:

…hat Scholl alles erreicht, rein sportlich blieb er der Unvollendete. Seine Karriere wirkt wie ein Versprechen, das nie ganz eingelöst wurde. Er kann keine Weltmeisterschafts-Teilnahme vorweisen, und insgesamt 36 Länderspiele klingen nicht nach großer Karriere.

Vollkommen korrekt. Achtmal Deutscher Meister, fünfmal Pokalsieger, Uefa-Cup-Sieger, Champions League-Gewinner, Weltpokalsieger und Fußball-Europameister… merkwürdig unvollendet, dieser Scholl. Hat nix aus seinem Talent gemacht. Danke, Spiegel-Online-Sportredaktion, für diesen Hinweis! Wäre mir sonst nicht aufgefallen, was für ein Versager dieser Scholl ist.

[tags]Scholl, Fußball, Spiegel Online, Gehirnversagen, Recherche-Unlust, Ungeheuer![/tags]

Im Weg

Ich geb ja zu, ich steh manchmal im Weg. Da kann ich nichts gegen machen, weil ich ein Mensch bin, der gelegentlich ein wenig verträumt durchs Leben schliddert, da kommt man des öfteren ein wenig vom eigenen Wege ab und gerät in den Weg anderer Menschen. War bisher kein Problem, die konnten mir bisher ja bescheid sagen, dass ich im Weg steh, dann hab ich Platz gemacht. Aus irgendeinem Grund geht plötzlich „im Weg stehen“ noch, aber „bescheid sagen“ geht nicht mehr.
Gestern Abend war ich bei Kaiser’s (Deppenapostroph von Kaiser’s und nicht von mir) am Theo und stehe an der Fleischtheke an. Und neben der Fleischthekenschlange (Mönsch, wie der Grzimek dieses Wort wohl aussprechen würde?) war so’n Sonderangebotsaufbau mit Irgendwas. Ein junger Mensch wollte an mir vorbei, um sich sein Irgendwas abzugreifen, aber da war nicht genug Platz, und ich hab ihn nicht gesehen, weil er von hinten kam. Aber statt zu sagen „Sie stehen im Weg, können Sie mal Platz machen?“ versucht er, durch mich durch zu gehen mich beiseite zu schieben.
Und dann oben an der Kasse bin ich immer ein bißchen überfordert, mein eingekauftes Zeugs in die Tasche und gleichzeitig meine Heppiditischts-Karte in die Brieftasche zu stecken, und die Oma die ältere Dame hinter mir hatte es wohl eilig oder ich war ihr nicht schnell genug, aber anstatt zu sagen „Machense doch ma Platz, Sie halten den ganzen Betrieb auf!“ haut die ältere Dame die Oma mir den Einkaufswagen in die Hacken und fängt an zu schieben.
Ich dachte, die gute Frau wäre nicht mehr zu toppen, aber dann hocke ich im M19 neben einem Dauertelefonierer, und als der an der Bülowstraße raus muss, sagt der nicht etwa „Ich muss aussteigen, lass mich mal durch!“ sondern hält mir einfach den Zeigefinger unter die Nase und zeigt auf den Ausgang, während er mit irgendwem weitertelefoniert.
Warum redet denn keiner mehr mit mir? Ich bin doch nicht taub. Ich steh doch nur im Weg.
[tags]Alltag, Berlin, Zivilisationskrüppel, Ungeheuer![/tags]

Marketing-Bock

Mediterrane Bockwurst

Es gibt Marketing-Aktionen, die werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. In diesem Falle:
Wer oder was ist eine „Mediterrane Bockwurst“? Ist das Phänomen Bockwurst im Mittelmeerraum überhaupt bekannt?
Wer sitzt in der Jury, die die „Wurst des Monats“ bestimmt? Sind die Juroren wirklich frei in ihrer Entscheidung, oder wird Druck von Verbänden, Institutionen oder gar der Industrie ausgeübt? Gibt es eine Vorauswahl, an der jedermann jede Wurst teilnehmen kann? Kann ich mir irgendwo einen Mediterranen-Bockwurst-Klingelton herunterladen?
Was ist eigentlich bizarrer, die Formulierung „je nur“ oder der Preis? Ich meine, 1,99 Euro für ’ne Bockwurst mit Gedöns…
[tags]Marketingquatsch, Bockwurst, Imbiß, Geistesverwirrung, Schilder, gehirnalbern, Ungeheuer![/tags]

Splitterbrötchen (VIII)

Es wurde 1967 niemand gezwungen, ein Hippie zu werden. Es wurde nach 1967 niemand gezwungen, einer zu bleiben.

„Wenn irgendwo auf der Welt ein Mann einen Satz sagt und es ist keine Frau in der Nähe, die ihm zuhört, hat der Mann dann trotzdem unrecht?“ fragt Herr Impermeabile.

Das Pflegen von Feindschaften zeugt von Charakter. Klein Beigeben ist kein Ruhmesblatt.

Wenn Menschen, die deutlich dümmer sind als man selbst, einem die intellektuellen Fähigkeiten absprechen, kann das sehr komisch werden. Oder sehr schmerzlich.

Man weiß, dass eigentlich nichts passieren kann. Trotzdem macht man sich Sorgen. Das Wort „eigentlich“ kann ein Stahlbad sein.

Vox versendet gerade die dritte Staffel von Boston Legal, und da sah ich diese magische Szene, in der Candice Bergen William Shatner vorwirft, dass er sich eine Sex-Gummipuppe hat anfertigen lassen, die genauso aussieht wie sie, und Shatner weiß zuerst nicht, warum sie sich so aufregt, und dann erhellt laaaangsam das Licht der Erkenntnis seine Miene und er fragt: „Eifersüchtig?“ Und ich frage mich, ob es eine Methode gäbe, eine solche Szene an einem deutschen Redakteur vorbei zu schmuggeln. Ich fürchte, nein.

[tags]Pseudoweisheiten, Tiefsinn, Wichtigtuerei[/tags]

Zum Saisonauftakt: Erinnerungen an den Bomber, der keiner war

Unsinnigerweise pflegte und pflegt die Boulevardpresse ihn immer als „Bomber“ zu bezeichnen. Dieser Begriff wird seiner Art, Fußball zu spielen und vor allen Dingen seiner unnachahmlichen Art, Tore zu erzielen, nicht im entferntesten gerecht. Die mit Urgewalt förmlich ins Tor hineingedroschenen Bomben waren seine Sache nun gar nicht. Er war ein Strafraumspieler von unglaublicher Beweglichkeit, der den Ball behaupten konnte, auch wenn er von mehreren Gegenspielern attackiert wurde. Diese engen, unübersichtlichen Situationen suchte er geradezu. Wenn es im Strafraum ein Getümmel gab, war er meist mittendrin, und irgendwann kullerte der Ball aus dem Getümmel heraus über die Tor-Linie. Typisches Müller-Tor!
Bei seinen Aktionen hatte er meist auch gar nicht die Zeit, dem Ball eine größere Wucht mitzugeben. Meist gelang es ihm, im Zweikampf ein paar entscheidende Millimeter zu gewinnen, so dass er gerade noch mit einer Schuh- oder Haarspitze an den Ball kam und ihn so irgendwie über die Torlinie schummelte. Typisches Müller-Tor!
Seine eigentliche Stärke aber war, dass er sich nicht umdrehen musste. Das wird bei seinem berühmtesten, vielleicht seinem wichtigsten Tor deutlich, dem 2:1 im 74er Finale gegen Holland. Er nimmt den Ball mit dem Rücken zum Tor an und schießt ihn eine hunderttausendstel Sekunde später frontal in die Kiste. Auch in der Superzeitlupe sieht man nicht, wie er sich umdreht. Er steht mit dem Rücken zum Tor und plötzlich steht er anders rum da, ohne sich umgedreht zu haben. Man sieht es an der verzögerten (Nicht-) Reaktion des Torhüters Jongbloed, der gar nicht damit gerechnet hat, dass jemand aus dieser Situation heraus einen Torschuss realisieren könnte. Der muss sich doch erst umdrehen… Müller musste dass nicht, er konnte sich umdrehen, ohne sich umzudrehen. Typisches Müller-Tor!
Was man im Stadion deutlicher ausmachen konnte als vor dem Fernseher: Müller hatte einen unglaublichen Spaß am Fußballspielen. Er liebte den Doppelpass und konnte sich über einen gelungenen Spielzug genauso freuen wie über ein Tor. Und er war – was man heutzutage bei Profikickern immer seltener findet – von einem brennenden Ehrgeiz besessen. Er fightete von der ersten bis zur letzten Minute, und wenn die Bayern mal zurücklagen oder gar verloren, dann ärgerte er sich schwarz. Unsinnigerweise hat man ihm zu seiner aktiven Zeit des öfteren Defizite im fußballtechnischen Bereich vorgeworfen. Das war natürlich Quatsch. Unorthodox konnte man sein Spiel, seine Bewegungsabläufe vielleicht nennen. Wäre er technisch limitiert gewesen, hätte er den Catenaccio-Königen im Jahrhundertspiel nicht zwei Tore einschenken können. Dann wäre er nicht der „Bomber“ Müller gewesen. Der er ja auch gar nicht war.

[youtube]ZbUeB20ty_c[/youtube]

[tags]Fußball, Nostalgie, FC Bayern, Müller, Jahrhundertstürmer[/tags]

Feingeist

In einem ansonsten ausgezeichneten Artikel über Diether Krebs auf SPIEGEL ONLINE lese ich:

Anders als bei Loriot regierte nicht der Feingeist.

Ich kapier es nicht. Herr von Bülow hat sich im Laufe seiner Karriere u.a. Nudeln an die Nase gehängt, hat Frau Hamann unsittliche Anträge gemacht, während er mit ihr über die Auslegware robbte und ist eine ungebührlich lange Zeit auf dem Wort „Kosakenzipfel“ herumgeritten, um nur diejenigen Klopper zu nennen, die mir zuerst einfielen. Ferner hat er sich mit schmierigem Rouladenfaden eingewickelt, hat beim Bilder-Rücken ein ganzes Wohnzimmer zerlegt und Frauen Bonbons in den Ausschnitt gespuckt, um nur diejenigen Nummern zu nennen, die mir als nächstes eingefallen sind. Schluss mit der Aufzählerei, Loriot hat nichts, aber auch gar nichts ausgelassen. Und trotzdem kliert nach wie vor jeder Journalist, der „Loriot“ schreibt, reflexhaft „Feingeist“ dazu. Ich kapier es nicht.
Macht aber nix. Schadet ja niemandem.
[tags] Loriot, Humor, Feingeist, Nachdenkverweigerung, Ungeheuer![/tags]

Straßenmusik

Straßenmusikanten sind wunderbar. Man kann an ihnen vorübergehen oder – wenn einem die Musik gefällt – ein Augenblickchen verweilen, bis der Musikant oder die Musikantin das Stück zu Ende gespielt hat. Vielleicht wirft man ein Geldstück in den herumstehenden Pappbecher/Hut/Gitarrenkoffer, vielleicht bleibt man noch ein wenig, um sich ein zweites oder auch ein drittes Stück anzuhören, aber spätestens, wenn das Repertoire des Musikanten erschöpft ist und die Stücke sich zu wiederholen beginnen, sollte man schleunigst das Weite suchen.
Wenn das denn geht. Denn wenn die junge Saxofonisten, die unter dem offenen Fenster meines Arbeitszimmer ihre Kunst ausübt, gleich wieder bei „Singin‘ in the rain“ angekommen sein wird, werde ich den Titel in zwei Stunden acht Mal gehört haben. Ich fürchte, ich kann nicht viel länger für die körperliche Unversehrtheit der an sich sympathischen jungen Künstlerin garantieren.
Update:
Ein paar Stunden später schauen die geduldigste Gemahlin von allen und ich uns in der Glotze den ganz angenehmen Theater-Film „The Leading Man“ an. In den ersten Minuten des Films taucht ein Mädchen mit einem Saxofon auf.
Ich: „Wenn sie ‚Singin‘ in the rain‘ spielt, bringe ich sie um.“
GGA: „Du kannst sie nicht umbringen, sie ist im Fernsehen.“
Sie hat es nicht gespielt, also bestand erstmal kein Handlungsbedarf. Trotzdem interessant: Wie bringt man jemanden um, der „im Fernsehen“ ist? Briefbombe an die TV-Spielfilm?
[tags]Straßenmusik, Saxofon, perfektes Verbrechen[/tags]

Bei Herrn Lentsch

Die Dankbarkeit ist (nicht nur) mein Lieblings-Gasthaus. Vielleicht liegt’s an der langen Vorfreude, die einem Besuch der Dankbarkeit vorausgeht. Denn die Dankbarkeit liegt in Podersdorf am Neusiedlersee, wo die geduldigste Gemahlin von allen und ich einmal im Jahr Urlaub machen. Und da kann die Vorfreude auf den nächsten Dankbarkeitsbesuch schon einmal 50 Wochen dauern. Aber irgendwann stehen wir dann doch wieder vor der Eingangstür.
Dankbarkeit Eingang
Da bleiben wir jedoch nicht lange stehen, sondern grüßen freundlich in den Schankraum mit dem Tresen hinein, wo die Podersdorfer sitzen, lassen bei schönem Wetter die Stube rechts liegen und eilen durch den langen Gang in den wunderbaren, einmaligen, schattigen Gastgarten. Da kommt auch schon der Wirt, Herr Lentsch, mit seinen charakteristisch kurzen, eiligen Schritten auf uns zu, begrüßt uns, als wären wir eine Woche und nicht ein Jahr lang weg gewesen, bringt uns an unseren Tisch und teilt die Karten aus. Dann sitzen wir erst einmal einen Moment da, atmen durch und schauen uns fröhlich in die Augen: „Was geht’s uns gut!“
Wieso geht’s uns in der Dankbarkeit so gut? Wieso geht’s uns in der Dankbarkeit besser als anderswo? Liegts an der verfeinerten burgenländischen Küche mit der jiddischen Hühnerleberpastete, der Paprika-Fischsuppe, dem „Gekochten vom grauen Steppenrind“, den Spezialitäten vom Mangalitzaschwein und den sündhaften Somloer Nockerln? Ist es die umfangreiche Weinkarte, auf der der Fan pannonischer Weinkultur nichts vermissen kann? Ist es der von Jahr zu Jahr immer besser werdende Hauswein, den Herr Lentsch für selbstmörderische 12 bis 15 Euro pro Flasche im Restaurant anbietet?
Natürlich tragen all diese Dinge wesentlich zu unserem Wohlbefinden bei, aber der eigentliche Faktor, warum es uns beim Lentsch so gut geht, ist der Lentsch selber. Es ist einfach die reine Freude, bei diesem Urbild eines Wirts, diesem besessenen Gastronom aus Leidenschaft Gast sein zu dürfen. Mitzuerleben, wie dieser Mann auflebt, wenn es seinen Gästen schmeckt und sie sich wohl fühlen, ist schon die halbe Miete in der Dankbarkeit.
Dankbarkeit Garten
Die wahre Qualität eines Wirts erweist sich aber, wenn ein Gast sich daneben benimmt. Wie wird er reagieren, wie wird er diese heikle Situation meistern? In diesem Sommer war ausgerechnet ich es, der Herrn Lentsch in dieser Hinsicht auf die Probe stellte. Ich hatte mein Handy, das eh schon tagelang nicht geklingelt hatte, nicht ausgeschaltet. Wer sollte mich denn schon im Urlaub am Montag abend anrufen? Und dann kam es, wie es kommen musste: Gerade als Herr Lentsch uns den Wein an den Tisch brachte, klingelte mein Handy. Und mein Handy klingelt nicht einfach, es spielt die entscheidenden Minuten des WM-Finales 1954 ab. „Aus dem Hintergrund müßte Rahn schießen… Rahn schießt… Tor! Tor! Tor!“ donnerte Herbert Zimmermann durch den eben noch beschaulichen Gastgarten, während ich mit fliegenden Fingern versuchte, den Störenfried auszuschalten. Herr Lentsch zuckte mit keiner Wimper, entkorkte den Wein und sagte, während er mir den Probierschluck einschenkte, verschwörerisch zwinkernd: „I wer‘ narrisch!
Da ging’s uns wieder gut!
[tags]Podersdorf, Restaurant, Urlaub, Dankbarkeit, Lentsch[/tags]