Rock’n Roll

Ganz toller Abend gestern im Renaissance-Theater. In „Rock’n Roll“ erzählt Tom Stoppard die Geschichte des orthodox-kommunistischen Cambridge-Professors Max Morrow und seines Lieblingsschülers Jan, einem rebellischen Rock-Fan, der in seine tschechische Heimat zurückkehrt, nachdem die sowjetischen Panzer den Prager Frühling beendet hatten. Die ganz großen Themen hat Stoppard geschickt mit den ganz kleinen verwoben, und so erzählt er über 25 Jahre hinweg, von Jans Rückkehr bis zum ersten Konzert der Rolling Stones in Prag die Geschichte einer sich revolutionär gebenden Intelligentsia, die trotz aller Attitüden immer bürgerlich geblieben ist, ohne kleinbürgerlich zu werden. Und wie nebenbei führt das Stück, durch das auch die letztes Jahr gestorbene Songwriter- Legende Syd Barrett geistert, die unglaublich subversive Kraft der Rockmusik vor Augen. Dass ein Scheibchen Vinyl hundert mal größere Sprengkraft haben kann als hunderte aufrührerischer Reden und tausendfach unterzeichnete Aufrufe… Tolles Stück, hinreißende Schauspieler, ein Geist und Seele anregender Abend!

[tags]Stoppard, Theater, Kommunismus, Freiheit, Rock’n Roll[/tags]

Splitterbrötchen (II)

„Waterloo“, Regie Sergej Bondarchuk: Man muss nur 5 Minuten lang Rod Steiger zuschauen, um zu begreifen, was für eine Sackgasse method acting ist.

Menschen meiner Generation halten sich gern zugute, allezeit auch noch den allergeringsten Zugriff auf jegliche Form von Macht zu hinterfragen. Macht war und ist etwas grundsätzlich Suspektes für jemanden wie mich, und bevor man sie ergreift bzw. ihre Bürde übernimmt, muss alles immer doppelt und dreifach hinterfragt werden. Ich frage mich, ob das alles nicht letztendlich eine Ausrede ist, sich vor Verantwortung zu drücken. Wenn einige Menschen meiner Generation – mich eingeschlossen – gelegentlich entschiedener zugegriffen hätten, hätten sie mehr bewegen können.

Immer, wenn ich Tom Buhrow sehe, frage ich mich, warum er nicht Tim Buhrow heißt. Und wo der Scotch Terrier ist.

Gefühle auslösen – darum geht’s. um nichts anderes. Ein Publikum will Partei ergreifen, leiden, lachen, die Daumen drücken oder jemandem die Pest an den Hals wünschen. Es soll nicht so lau sein wie diese unerträgliche Normalität.

Jörg Immendorff über den Tod: „Der, der bleibt, wird ja verletzt, irgendwo … ich gehe davon aus, dass wir unsterblich sind. Alles andere ist mir zu gruselig.“
[tags]Pseudoweisheiten, Tiefsinn, Wichtigtuerei[/tags]

Netzecken-Rätsel: Grappa im Teppich?

Gestern, beim Wein kam – Ulrike hatte mal wieder sen-sa-tio-nell gekocht und Harald ein paar exquisite Fläschchen aufgemacht, vielen Dank – wie das Gespräch auf Sternstunden des Kino- und Fernseh-Trashs. Da fiel mir ein Film ein, den ich in den Kinderjahren der Nacktsender in den Anfängen des Privatfernsehens irgendwann spät in der Nacht bzw. eher früh am Morgen auf Sat1, RTL o.ä. gesehen habe. Es handelte sich um einen Billig-Agententhriller (vermutlich europäischen Ursprungs) aus den späten sechziger oder frühen siebziger Jahren. Den Protagonisten und den Plot habe ich komplett verdrängt, der Schurke des Films ist mir jedoch unvergesslich geblieben: der spielte nämlich die ganze Zeit mit einer elektrischen Eisenbahn. Und wenn er mal über etwas nachdenken musste, ließ er sich eine Flasche Grappa kommen, trank dieselbe auf ex und wickelte sich anschließend in einen Teppich ein.
Wenn die geschätzten Leserinnen und Leser jetzt ungläubig gucken, dann wissen sie, wie gestern Abend Harald, Ulrike und die geduldigste Gemahlin von allen geguckt haben, als ich von diesem Meisterwerk der Filmkunst erzählt habe.
Google und die IMDB haben mir nicht weiterhelfen können. Jetzt müssen’s die Netzecken-Leser wissen. Wer kennt den Titel des von mir beschriebenen Films? Diejenige oder denjenigen, der in den Kommentaren als erster den korrekten Filmtitel nennt, lade ich stadnesgemäß auf einen Grappa in die Teppichabteilung des KaDeWe ein!
[tags]Trash, Kino, Grappa, Modelleisenbahn, Teppich, Thriller, gehirnalbern[/tags]

Outdoorsport

Wenn man sich durch Berlin bewegt, kommt man nicht umhin, festzustellen, dass Rauchen sich mittlerweile zur beliebtesten Outdoorsportart der Hauptstadt entwickelt hat. Vor jedem Bürogebäude, vor jeder Ladenpassage stehen nervöse, verängstigtte Raucher, gucken sich argwöhnisch um und ziehen hektisch an ihren Pausenzigaretten.
Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis irgendein Vollspaten irgendeiner Partei meint, dass diese aus ihren Büros, Wohnungen und Kneipen vertriebenen Menschen nicht nur das Stadtbild verschandeln, sondern auch mit ihrer exhalierten Abluft die Feinstaubquote negativ beeinflussen. Eher Wochen denn Monate später wird die Wall AG beginnen, im Auftrag von Städten und Gemeinden auf öffentlichen Plätzen Raucherpavillons (Eintritt zunächst gegen Münzeinwurf, später – nicht zuletzt wg. Alters-Check – nur noch mit EC – oder Raucher-Card) aufbauen. Und spätestens nächstes Jahr werden dann auf den ganzen Open-Air-Festivals die Rauchwolken aus zahllosen umgebauten Dixi-Klos aufsteigen.
[tags]Raucher, Feinstaub, Unfug, Ungeheuer![/tags]

Radiobloggen

Es heißt, dass meistens ca. 50 Jahre vergehen müssen, bis man weiß, was man mit einer wirklich bahnbrechende Erfindung tatsächlich anfangen kann. Mit dem Telefon wollte man ursprünglich Musik-Übertragungen realisieren. Konrad Zuse baute den ersten Computer als Rechenmaschine. Erst Jahre nach ihrer eigentlichen Erfindung fand man man heraus, dass beides in Wirklichkeit hervorragende Kommunikations-Instrumente sind.
Ein ähnlicher Coup ist jetzt der GEZ geglückt. Sie hat herausgefunden, was man tatsächlich mit Radios machen kann. Man kann damit Texte verarbeiten, Tabellenkalkulationen bedienen, Datenbanken verwalten, Bücher setzen, Buchcover gestalten und die Buchführung erledigen. Ist doch super, was man mit so ’nem ollen Dampfradio alles machen kann.
GEZ GEbührenbescheid
Sogar bloggen kann man damit.

[tags]GEZ, Straßenraub, dummdreist, gehirnalbern[/tags]

Neuer Müllprovider

Bisher habe ich meinen Sprachmüll ja bevorzugt aus dem Hause Burda bezogen:

Nach den Meinungen und Videos geht nun der Konsum long tail. Auch das ist eine Form der self expression und sozialen Vernetzung, die das Web 2.0 ermöglicht.

Und ich war auch sehr zufrieden. Echter Qualitätsquatsch, schnell einmal quer zu lesen, ohne dass in meinem Gehirn Inhalte abgelegt werden müssen. So stell ich mir meinen Wortmüll vor, bzw. so habe ich ihn mir bis heute vorgestellt.

Denn heute will der Tagesspiegel nicht nur seinen Online-Auftritt renovieren, er hat auch die Latte für substanzlosen Sprachunfug sehr hoch gehängt:

Strategisch setzt der Verlag mit dem Relaunch auf die crossmediale Vernetzung von Online und Print. „Aus Tagesspiegel online wird einfach Tagesspiegel.de.“

Also, wenn Burda sich jetzt nichts einfallen lässt, werde ich wohl wechseln.
[tags]Tagesspiegel, Burda, Sprachmüll, Unfug, gehirntot, Ungeheuer![/tags]

Splitterbrötchen (I)

Sonntags gibt’s manchmal Milchkaffee mit Splitterbrötchen zum Frühstück, ab sofort auch in der Netzecke. Schnipsel und Gedankensplitter, die sich über die letzten Tage und Wochen angesammelt haben.

Durch Kreuzberg 36 flanierend dachte ich plötzlich: „So ein sauberes, quietschbuntes Franchise-Fastfood-Restaurant würde eigentlich ganz gut hierher passen. Wäre mal ein netter Kontrast.“

Vor 10 Tagen, beim Finale Liverpool-Milan erschien plötzlich ein Insert, das uns darüber informierte, dass Steven Gerrard bis zu diesem Zeitpunkt exaktemang 8705 Meter gelaufen war. Super! Warum wird man eigentlich nicht mehr über die Netto-Spielzeit informiert? Das war mal eine Statistik!

Am wenigsten verzeihen einem die Menschen das, was sie einem selbst angetan haben.

Wenn ich heute eine bestimmte Sorte Blogs lese, mache ich eine Zeitreise. Dann sitze ich plötzlich in den späten siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts am Küchentisch einer Kreuzberger WG, bekomme einen Teller Spaghetti nach Admirals Art und ein Glas ungenießbaren preiswerten Rotwein rüber geschoben, und das Wort, das am häufigsten benutzt wird, ist „Kommerzkacke“.

[tags]Pseudoweisheiten, Tiefsinn, Wichtigtuerei[/tags]